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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und kratzte sich den Nasenrücken. Vom Herd her duftete es köstlich: Wenn Anastasia eine Kascha kochte und Tigran Rassulowitsch es erfuhr, eilte er zu ihr, segnete sie mit dem Brustkreuz, verzieh ihr alle Sünden und aß drei Teller leer.
    »Es ist eine große Ehre, daß Sie hereinkommen«, sagte Anastasia stockend zu dem blonden Fremden. »Ein Herr aus der Stadt! Es kommen selten Unbekannte nach Satowka. Ab und zu aus Batkit ein Lastwagen mit Geräten, zweimal im Jahr die Händler – und dann der Genosse von der Steuer, der immer schon an den Türen schreit: ›Seid gnädig mit mir! Ich bin nur ein ausführendes Organ! Ich habe die Steuer nicht erfunden, ich nicht!‹ Zweimal im Monat holt einer von uns die Post aus Batkit. Aber wer schreibt schon nach Satowka? Wichtig sind nur die Zeitungen und die Batterien für die Radios. Wir haben neun Radios im Dorf …«, sagte sie stolz, verstummte dann, sah den Fremden hilflos an und dachte: Nun rede du doch auch ein Wort! Glotz mich nicht so an! Ich bin kein junges Mädchen mehr, auch wenn die Brüste noch fest sind. Ich bin neunundvierzig Jahre alt, Brüderchen, und seit zehn Jahren Witwe. Und es gibt fünf Kerle im Dorf, die mir heimlich nachstellen. Wie Böcke benehmen sie sich … Ich schlafe nur mit einem dicken Knüppel an meiner Seite …
    »Ich heiße Michail Sofronowitsch Tassburg«, sagte der Fremde. »Darf ich näherkommen?«
    Welch ein gebildeter Mensch, dachte Anastasia verzückt. Fragt, ob er näherkommen kann. Das muß man den anderen sagen, diesen Holzköpfen von Bauern! Die poltern ins Haus, putzen ihre dreckigen Stiefel nicht ab und spucken noch dazu in die Ecken.
    »Michail Sofronowitsch«, sagte sie und zeigte auf einen Stuhl. »Nehmen Sie Platz.« Sie lachte etwas geziert. »Tassburg … ein komischer Name.«
    »Meine Eltern stammen aus Livland. Die Vorfahren waren Deutsche.«
    »Meine Ururgroßmutter war sogar eine Gräfin!« Anastasia kratzte sich wieder den Nasenrücken. Eine Unterhaltung ist mühsam, wenn man nicht weiß, was man voneinander will. »Satowka ist ein Dorf, das von Deportierten gebaut wurde.«
    »So etwas Ähnliches habe ich mir gedacht.« Michail Sofronowitsch setzte sich auf den breiten Stuhl und streckte die Beine in den hohen Stiefeln von sich. »Ich suche ein Haus«, sagte er. »Meine Leute bauen ihr Lager hinter dem Dorf auf, aber ich brauche feste Räume für ein Büro, für den Zeichentisch und einige sehr empfindliche Instrumente. Das Haus gegenüber – gehört es Ihnen?«
    »Ja!« sagte sie verschlossen. »Ich heiße Anastasia Alexejewna Morosowskaja – übrigens …«
    »Das Haus steht leer …?«
    »Ja!«
    »Es interessiert mich. Ich möchte es mieten, Anastasia Alexejewna.«
    »Das Haus steht mit kleinen Unterbrechungen seit hundertfünfzig Jahren leer …«, sagte sie voller Abwehr.
    »Ein Beweis, wie gut es gebaut ist! Kann ich einziehen?«
    »Nein!«
    Michail Sofronowitsch sah sie verblüfft an. Das Nein war fast hinausgeschrien. Anastasia schien plötzlich sehr erregt zu sein. Sie lief zum Herd, rührte in ihrer Kascha herum, dann strich sie sich die angegrauten Haare aus der Stirn und stocherte in dem niedrig gehaltenen Feuer herum. Zuviel Hitze ließ den Brei anbrennen. Dann goß sie nervös Wasser in die Kascha, was der Pope sicherlich als Sünde bezeichnen würde, denn ein gutes Essen, das man dem Priester anbietet, zu verwässern, ist schon fast eine Lästerung.
    »Es geht nicht«, sagte Anastasia. »Es ist unmöglich!«
    »Es ist das einzige freie Haus im Dorf.«
    »Ich sagte: Man kann es nicht bewohnen!« Sie probierte die Kascha, leckte sich danach die Lippen und spürte Michails Blick im Rücken. Sie wußte, sie hatte gerade Beine und einen runden, griffigen Hintern; sie hatte sich gut gehalten in zehn Witwenjahren mit keuscher Lebensführung. »Es starrt vor Dreck.«
    »Wir werden es so herausputzen, als sei es gerade erst gebaut worden!« sagte Tassburg. »Vor Schmutz haben wir noch nie kapituliert. In drei Stunden blitzt das Haus!«
    »Und wenn Sie es ausmalen wie die Klosterkirche von Sagorsk … es ist unmöglich!« rief Anastasia beinahe verzweifelt. »Fragen Sie die Nachbarn. Man wird Ihnen was erzählen! Die Augen werden Ihnen tränen!«
    In diesem Moment griff Tigran Rassulowitsch, der Pope, ein. Er stürmte ins Haus, als sei Anastasia vom Teufel besessen, blieb mitten im Zimmer stehen und drückte das Kinn an, wodurch sich sein langer schwarzer Bart nach vorn sträubte. Er sah sehr imponierend
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