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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Man war eine große brüderliche Gemeinde. Nur die Gräfin machte nicht mit. Stolz war sie, hübsch, schlank, gebildet … es blieb eigentlich von den Männern nur einer übrig, der ihrer wert war: der Hauptmann Alexander Anatolowitsch. Und was macht der wilde Bursche? Kaum ist das Haus der Gräfin fertig, fällt er über sie her, fesselt sie an Händen und Füßen, reißt ihr die Kleider vom Leib … und dann ging's los wie der sagenhafte Jäger von Sibirien! Aber sagte ich es nicht: er war ein nicht ganz klar denkender Mensch. Nach zwei Tagen bindet er die Gräfin Albina los, und was tut sie in der Nacht? Na? Sie nimmt den Krummdolch von Alexander Anatolowitsch und schneidet ihm die Kehle durch. Bis auf den Nackenknochen – es war ein scharfer Dolch! Dann stieß sie sich selbst die Klinge ins Herz, um zu sterben. Aber sie hatte nicht bedacht, daß es ein Krummdolch war. Statt nach oben rammte sie sich die Klinge nach unten in die Brust, die Spitze traf nicht ins Herz, sondern ins Leere. Gräfin Albina Igorewna überlebte, der Feldscher behandelte sie ein Vierteljahr lang, ein Gericht trat zusammen und sprach sie frei des Mordes an Alexander Anatolowitsch, denn – bei aller Leidenschaft – so darf man eine Gräfin nicht behandeln. Nach neun Monaten kam dann ein Mädchen zur Welt.«
    »Meine Urgroßmutter!« rief Anastasia aus der Ecke des Herdes. »Gott segne sie.«
    »Albina Igorewna überlebte die Geburt nur drei Tage. Sie starb an einem hitzigen Fieber, aber vorher verfluchte sie das Haus, in dem sie Alexander Anatolowitsch die Kehle durchgeschnitten hatte und nun selbst an seinem Kind zugrunde ging. Wie gesagt, das war vor hundertfünfzig Jahren!«
    Tigran Rassulowitsch kratzte den letzten Rest Kascha aus der Schüssel, leckte den Finger ab und holte aus der Soutane eine selbstgeschnitzte Pfeife und einen ledernen Beutel, der einen greulich riechenden Tabak enthielt. Solange der Pope in Satowka lebte, rätselte man herum, was er rauchte. Tabak konnte es nicht sein, denn im Sommer ging Tigran rauchend durch seine Kirche, und die Kirche war das einzige Haus in Satowka, das dann fliegenfrei war. Die Tierchen fielen einfach von den Wänden oder verendeten in der Luft, wenn sie in den Qualm des Popen gerieten.
    »Seitdem haben mehrere Wahnsinnige versucht, in dem Haus zu wohnen«, sagte Tigran und sah dabei Tassburg durchdringend an. »Ignoranten alles! Der Fluch vernichtete sie. Vier wurden ermordet, drei starben an Vergiftungen, einer erhängte sich am Ofen, ein anderer zerhackte sich beim Holzspalten die Hand und verblutete, noch ein anderer starb qualvoll an einer Fischgräte, die ihm im Hals steckenblieb. Keiner überlebte. Der letzte war Anastasias Mann, der gute Morosowski.«
    »Gott sei ihm gnädig!« rief Anastasia vom Ofen her. »Ein lieber Mann war er.«
    »Morosowski, der hier einheiratete, respektierte neun Jahre lang den Fluch und betrat das Haus nicht. Luft war es für ihn, oder wenn es sich nicht vermeiden ließ, daß er es sah, bei der Gartenarbeit etwa, spuckte er gegen die Wände. Einmal im Jahr, zu Ostern, komme ich selbst und besprühe es mit Weihwasser, aber das ist nur äußerlich. Der Satan sitzt drinnen! Im zehnten Jahr aber …«
    »Herr, erbarme dich unser!« schrie Anastasia aus der Ecke.
    »… im zehnten Jahr machte Morosowski einen Fehler. Durch das Fenster sah er, daß im Haus eine schöne, stabile Eckbank stand, viel zu schade, um zu zerfallen. Ha, dachte er, es wird den Kopf nicht kosten, wenn ich die Bank heraushole. Will ja nicht wohnen in dem Haus, nur das Bänkchen retten. Das geht wie der Wind … Tür auf, hinein, die Bank gepackt, nach draußen gezerrt, Tür zu und verriegelt … das war eine Minutensache. Er hat's getan, der Arme.«
    Tigran brannte seine Pfeife an. Ein Duft wie verdunstende Jauche erfüllte das Zimmer, aber er sog fröhlich an dem Mundstück und rollte den Qualm erst im Gaumen, ehe er ihn pfeifend ausstieß.
    »Die Bank kam hier ins Haus, und was passierte? Sie werden es nicht glauben, Michail Sofronowitsch! Der brave Morosowski legt sich zu einem Mittagsschläfchen auf die Bank, fällt im Schlaf herunter und bricht sich das Genick. Eine Woche nachdem er sich die Bank aus dem verfluchten Haus geholt hat! Ich habe einen Sondergottesdienst abgehalten, die Bank mit Weihwasser besprengt, und dann haben wir sie, unter dem Schutz des Kreuzes, in das Haus zurückgebracht. Zu spät! Unsere liebe Anastasia war Witwe. Wo bleibt der Tee, Mütterchen?«
    »Sofort,
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