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Nashira

Nashira

Titel: Nashira
Autoren: L Troisi
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stockendem Rhythmus. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren.
    Talitha nahm den Luftkristall zur Hand und betrachtete ihn im matten Licht, das vom Minenausgang zu ihnen hereinfiel. Dann konzentrierte sie sich, wie sie es während der Übungen mit Schwester Pelei getan hatte, als sie ihr Es einem Gegenstand übertragen sollte. Und wie damals stellte sie sich wieder einen warmen, wohltuenden Strom vor, der ihr durch die Adern floss. Immer heller strahlte der Kristall, und die Kräfte verließen sie, um in dem pulsierenden Stein an ihrem Hals zusammenzufließen. Sie hörte erst auf, als sie kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen. Als sie die Augen öffnete, drehte sich alles um sie herum, und sie musste sich gegen den Impuls stemmen, sich einfach zu Boden sinken zu lassen. Mit zitternden Händen nahm sie den Anhänger ab und hängte ihn Saiph um den Hals. Einen Augenblick lang strahlte der Kristall noch. Dann erlosch er mit einem Schlag. Im gleichen Moment zog sich die Haut auf Saiphs Stirn kurz zusammen, und als sie sich wieder glättete, wurden seine
Atemzüge ruhiger und gleichmäßiger. Langsam nahmen seine Wangen wieder Farbe an.
    Erst jetzt ließ Talitha sich zurückfallen. Das Minengewölbe über ihr war das Letzte, was sie sah, bevor ihr die Sinne schwanden, und sie in einen tiefen Schlaf fiel.

    Als sie erwachte, fiel ihr erster Blick auf Saiph neben ihr.
    »Herrin ...«, murmelte er mit kaum vernehmlicher Stimme.
    Talitha konnte es nicht glauben. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Auch wenn er noch sehr schwach wirkte und die Augen kaum offenhalten konnte, schien er außer Lebensgefahr zu sein.
    »Du hast mich zu Tode erschreckt, du dummer Sklave«, murmelte sie, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Bis zum Abend wachte sie bei ihm, sprach mit ihm, streichelte ihm über das Haar. Erst dann entfernte sie sich und setzte sich in den Mineneingang, um ein wenig frische Luft zu schnappen.
    So saß sie da, die Knie zur Brust gezogen, und blickte auf das brennende Orea hinab. Rauchsäulen stiegen von den Hütten auf, hier und da schlugen noch Flammen aus den Trümmern. Was wohl aus Hergat und Dynaer geworden war, oder aus Lyran, der sie verraten hatte? Was mochte geschehen sein mit den Frauen, die mit ihr in der Fabrik gearbeitet hatten, mit all den Femtiten und Sklaventreibern, denen sie Tag für Tag begegnet war?
    Viele, viel zu viele werden gestorben sein .
    Wieder überkam sie ein unbändiger Zorn: Dass ihr Vater sie suchte und alles tun würde, um sie wieder nach Hause zu
schaffen, war immer klar gewesen. Aber was er hier angerichtet hatte, überstieg jedes Maß.
    Sie biss sich auf die Lippen, und als sie Blut schmeckte, spuckte sie angeekelt aus. Wie gern hätte sie ihre Adern ganz entleert, von allem befreit, was sie mit diesem Mann verband, der nicht davor zurückgeschreckt war, einen ganzen Ort mit seinen unschuldigen Bewohnern auszuradieren.
    Langsam zog sie den Dolch aus dem Stiefel und setzte sich die Klinge an die linke Schulter, wo das Wappen ihrer Geschlechts eintätowiert war. Sie ritzte es ein und genoss den Schmerz, schnitt noch einmal hinein, und noch einmal und wieder und wieder. So verunstaltete sie das Wappen, verbarg das Symbol ihrer Herkunft unter einem Geflecht blutiger Schnitte, bis sie glaubte, dass nichts mehr zu erkennen war von dem Schild und dem schwarzen Drachen, der darauf prangte. Dann warf sie die Klinge zu Boden, presste die Wunde mit einer Hand zusammen, und während sie einen Schrei unterdrückte, schwor sie: Von diesem Tage an würde sie nicht nur ihr Talaritenblut verleugnen, sondern auch rächen, was man Saiph und den Femtiten von Orea angetan hatte.

EPILOG
    Er steckte den Kopf aus der schmalen Lücke im Fels, und ein eiskalter Wind peitschte ihm ins Gesicht. Weiter unterhalb zerfiel die brennende Siedlung langsam zu Asche. Ein verbittertes Lächeln kräuselte sein gezeichnetes Gesicht. So wiederholte sich die Geschichte. Er erinnerte sich noch, wie zu Zeiten des Kriegs aus den Städten der Rauch aufgestiegen war. Damals hatte er den Entschluss gefasst, sich aus der Welt in die Einsamkeit zurückzuziehen.
    Instinktiv schaute er hinauf zu den beiden Sonnen. Sie schienen schon wieder heller geworden zu sein. Er schüttelte den Kopf. Das ging ihn nichts an. Seit Jahrhunderten schon hatte er alles hinter sich gelassen, was auf Nashira geschah.
    Plötzlich hörte er ein gedämpftes Weinen.
    Wer immer es sein mochte, auch das ging ihn nichts an. Er schlug wieder den
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