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Nashira

Nashira

Titel: Nashira
Autoren: L Troisi
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mit dem Gesicht dicht vor die Eissplitter am Boden. »Weißt du, was der wert war?«, schrie er noch einmal. »Drei Silber-Nephem! Und weißt du, wie viel das macht, drei Nephem in Peitschenhieben?«
    Fünfmal ließ er die Peitsche auf ihren Rücken niedergehen. Talitha biss sich die Lippen blutig, und kein einziger Laut entwich ihrer Kehle. Wenn ihre Tarnung aufflog, war alles verloren. Nur daran dachte sie, während die Peitsche sie traf, und als ihr beim letzten Hieb doch eine Träne über die Wange lief, war ihr einziger Gedanke, dass sie hoffentlich nicht ihre Gesichtsfarbe verschmierte.

    Als sie an diesem Abend mit den anderen in Hergats Küche saß, brachte sie kein Wort heraus, weil sie in Gedanken immer noch bei den Dingen war, die in der Fabrik vorgefallen waren. Unvorstellbar kam es ihr vor. Schlimmer als ein Tier hatte man sie behandelt, und sie hatte es ohne den leisesten Mucks hingenommen. Es ging nicht anders.
    Während sie über diesen Gedanken brütete, klopfte es plötzlich heftig an der Tür.
    Hergat öffnete. Auf der Schwelle stand ein junger Sklave, der halb nackt war und sich ununterbrochen Arme und Beine kratzte. Seine Züge waren zu einer grotesken Grimasse verzerrt, die Augen aus den Höhlen getreten und von violetten Ringen umgeben.
    »Lyran ...«, murmelte Hergat.
    »Ich brauche es«, sagte dieser zitternd.
    »So holst du dir noch eine Lungenentzündung. Geh dir was überziehen.«
    »Ich brauch keine Kleider. Was ich brauche, weißt du. Gib es mir!«, schrie er.
    »Du hast schon zu viel genommen!«
    »Das kann dir doch gleich sein! Ich geb dir mein Essen ab! Ich übernehme eine ganz Woche deine Schicht, ich bezahl dich, wie du willst, aber gib es mir!«
    Sein Geschrei hatte einen Sklaventreiber aufmerksam gemacht, der nun auf die Hütte zu trat. Rasch zog sich Talitha hinter den Türpfosten zurück.
    »Was ist hier los? Was zum Teufel willst du?«, fuhr er den jungen Sklaven an.
    Lyran schwieg. Nach den Gesetzen des Reichs des Winters war es verboten, Thurgankraut zu kaufen oder zu verkaufen, doch üblicherweise drückte man hier ein Auge zu. Außerdem
konnte Hergat seinen Handel nur betreiben, weil er hin und wieder auch Sklaventreiber mit dem Kraut versorgte.
    »Ihm geht es nicht gut, er hat wohl zu viel gearbeitet«, sagte Hergat.
    »Arbeiten könnt ihr nie zu viel«, antwortete der Sklaventreiber, packte den jungen Sklaven und schleifte ihn fort.
    »Das wirst du mir büßen!«, schrie Lyran Hergat über die Schulter zu.
    »Erholt er sich denn wirklich wieder, wenn er nichts mehr nimmt?«, fragte Talitha, als sie weg waren.
    Hergat zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls wird er mit Sicherheit sterben, wenn er nicht damit aufhört. In höheren Dosen ist Thurgankraut sehr schädlich. Aber wenn er die Krise übersteht, kommt er auch wieder auf die Beine.«
    Das Vorkommnis warf einen weiteren Schatten auf Talithas Verfassung. Sie musste daran denken, dass Saiphs Augen jeden Abend, wenn sie aus der Fabrik zurückkam, wieder etwas stärker glänzten, seine Züge noch ausgezehrter wirkten.
    Sie beschloss, ihn darauf anzusprechen. Am Abend hatte er, wie immer, bereits auf sie gewartet, und kaum rief sie seinen Namen, kam er aus seinem Versteck gekrochen, froh, etwas Luft schnappen zu können.
    »Hast du von dem Kraut gekaut?«, fragte sie ihn ohne lange Vorrede, als er sich neben sie an den Tisch gesetzt hatte.
    »Nein, das würde ich nie tun. Das Zeug ist gefährlich.«
    »Aber deine Augen haben sich verändert, seit wir hier sind.«
    »Das wird an der Luft dort unten liegen. Das Kraut riecht sehr stark, und wenn ich abends aus dem Loch komme, ist mir immer ganz schwummerig.«
    Statt etwas zu erwidern, drehte Talitha sich nun um, entblößte
langsam ihren Rücken und zeigte ihm die roten Peitschenstriemen. Mit zitternden Fingern streckte Saiph die Hand aus, hielt jedoch verlegen inne, kurz bevor er sie berührte.
    »Diese verfluchten Hunde! Was haben sie dir angetan?«
    »Die Schmerzen und die Erniedrigung sind nicht das Schlimmste. Schlimm ist, dass ich stillgehalten habe. Ich hab mich auspeitschen lassen, ohne etwas zu tun, ja ohne den Hauch von Empörung zu empfinden. Es kam mir ganz normal vor: Ich hatte einen Fehler gemacht, und es war richtig, dass ich dafür bestraft wurde. Seit ich in dieser Fabrik arbeite, erlebe ich Tag für Tag, dass Leute wegen jeder Kleinigkeit ausgepeitscht werden: Einer hat kurz den Blick von der Arbeit abgewandt, ein anderer ein Wort mit dem Nebenmann
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