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Nashira

Nashira

Titel: Nashira
Autoren: L Troisi
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Bei uns herrscht diese Trockenheit, und hier wissen sie nicht, wohin mit ihrem Wasser«, setzte Megassa mit einem heiseren Lachen hinzu, während er ein großes Gebäckstück aus einem Tuch auswickelte.
    Mit einer Mischung aus Mutlosigkeit und Unbehagen betrachtete Talitha ihre Eltern: Deren Engherzigkeit und Hochmut gegenüber dem einfachen Volk widerten sie an. Sie sehnte den Moment herbei, da sie endlich diese Kutsche verlassen konnte.

    Das letzte Stück des Weges legten sie auf einem Baumpfad zurück, der über den See führte. Auf dem grünen, herrlich klaren Wasser schwammen hier und dort kleine Teppiche grell roter Algen, um deren Blüten winzige Insekten mit bunt schillernden Panzern schwirrten, die gierig den goldenen Nektar aussaugten. Talitha meinte zu fliegen, während das Wasser träge unter ihnen entlangzog, ein wunderbares Gefühl, das sie tröstete und entschädigte, bis sie die überfluteten und halb zerstörten, von Trümmern und Unrat umgebenen
Häuser des Überschwemmungsgebiets erblickte. Es war ein Bild, bei dem sie eine seltsame Unruhe erfasste; vielleicht hatten die Alten Recht, die behaupteten, dass sich in den letzten fünfzig Jahren so vieles verändert habe.
    Der Palast von Kalymas Bräutigam erhob sich steil über dem See. Die Fassade bestand aus schachbrettartig angeordneten weißen und rosafarbenen Steinblöcken, und das Dach war mit Spitztürmchen und so feinen Ornamenten verziert, dass es von Weitem wie eine Stickarbeit wirkte.
    Die Braut höchstpersönlich empfing sie. Talitha erinnerte sich kaum noch an sie, doch ihre Eltern gingen ausgesprochen herzlich mit ihr um. Kalyma hatte glattes, strohblondes Haar und eine Gesichtsfarbe, die eine Spur heller als die von Talithas Familie war. Insgesamt sah sie ziemlich gewöhnlich aus, wenn man von ihren nussbraunen Augen, eine Seltenheit unter Talariten, und ihrer Kleidung absah, die sie als große Dame ausweisen sollte. Vom ersten Augenblick ging Talitha das affektierte Getue ihrer Cousine auf die Nerven.
    »Bist du aber gewachsen«, kreischte sie mit einem aufgesetzten strahlenden Lächeln. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch ein Zwerg und bist immer mit dreckigen Händen und zerzausten Haaren rumgelaufen. Ein richtiger Lausbub, habe ich mir damals gedacht, und jetzt sieh mal einer an, welch schöne Blume da erblüht ist!«
    »Danke«, sagte Talitha und musste dabei ein Lächeln unterdrücken, weil sie sich plötzlich daran erinnerte, wie sie einmal, damals mochte sie vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein, einen kleinen sechsfüßigen Sumpflurch gefangen und der Cousine, unter dem entsetzen Aufschrei ihrer Mutter, in den Ausschnitt gesteckt hatte.

    Kalyma führte sie zu den Zimmern, in denen sie untergebracht waren, in einem Flügel des Palastes, der ihnen ganz zur Verfügung stand.
    »Mein künftiger Gemahl stammt aus einer Nebenlinie des Herrschergeschlechts, die nach dem Thron strebt«, erklärte sie auf dem Weg dorthin. Und mit einem komplizenhaften Lächeln fügte sie hinzu: »Vielleicht dürft ihr mich bald schon Königin nennen.«
    In der Tat war die Zukunft des Reichs des Frühlings unsicher: Hier regierte seit Langem die jungfräuliche Königin Kambria, die mittlerweile schon auf die sechzig zuging. Sie hatte nie geheiratet und keine Nachkommen, und so machten sich die beiden Nebenlinien den Anspruch auf die Krone streitig. Aus diesem Grund war die Priesterkaste im Land enorm einflussreich geworden: Denn es war der Hohepriester des Reichs, der den König krönte. Dieser wiederum wurde von den Klostervorstehern des Landes, den sogenannten Kleinen Müttern oder auch Kleinen Vätern, in einer Versammlung gewählt. Üblicherweise wurde die normale Thronfolge bestätigt, doch es war auch schon vorgekommen, dass ein Herrscher aus einer anderen Familie als der des alten Königs gewählt wurde, wenn sich die verschiedenen Interessengruppen auf ihn einigten. So lag in der derzeitigen Situation im Reich des Frühlings die Entscheidung, welchem Herrschergeschlecht die Krone anvertraut werden sollte, ganz bei den religiösen Würdenträgern.
    »Die Kleine Mutter von Larea steht auf unserer Seite«, fuhr Kalyma fort. »Ihr Kloster ist steinreich.«
    Talitha stieß ungeduldig die Luft aus. Sie hatte genug von diesem langweiligen Gerede, aber leider war sie die Letzte, die Kalyma zu ihrem Zimmer begleitete. Mit Saiph im Gefolge,
der all ihr Gepäck schleppte, durchquerten sie einen langen Flur, an dessen Ende eine
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