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Nasenduscher: Roman (German Edition)

Nasenduscher: Roman (German Edition)

Titel: Nasenduscher: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Boltz
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Carlson scheint in den USA einen gewissen Kultstatus innezuhaben, jedenfalls ticken die Amis nach jedem dritten Satz aus. Sie ist eine erstklassige Entertainerin und versteht es, die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Auch ich kann mich nicht davon frei machen und erliege ihrer Ausstrahlung. Sie beendet den Vortrag mit einem weiteren ohrenbetäubenden »I am what I am« und fragt ins Publikum, wer denn heute mit seiner Selbstheilung beginnen möchte. Sofort schießen diverse Greisenkörper aus ihren Samtsesseln und recken ihre bleichen Arme in die Höhe. Ein Meer aus Altersflecken schwebt über den Köpfen, und diejenigen, die am lautesten »I am what I am« grölen, werden sogleich von einem Spotlichtscheinwerfer ins rechte Licht gesetzt und mit heftigem Applaus bedacht. Eine Frau mit krampfadrigen Beinen, die mich an den Streckenverlauf des Frankfurter U-Bahn-Netzes erinnern, reckt ihre Krücken zu ihrem Schlachtruf in die Höhe, ein Mann im Rollstuhl klatscht frenetisch und stimmt in den Chor mit ein.
    Und dann passiert es.
    Aufgepeitscht von der hitzigen Atmosphäre im Saal klatsche auch ich mit. Sofort reagiert der Mann am Spotlichtverfolger und blendet mich mit geschätzten acht Millionen Lux. Wäre ich nicht schon blind, müsste ich es spätestens jetzt werden. Der ganze Saal schaut mich begeistert an und wartet auf meine magischen Worte, die mich zu einem von ihnen machen. Und ich möchte mein Publikum nicht enttäuschen. Also springe ich auf, recke Romeo und meinen weißen Stock in die Höhe und schreie aus voller Kehle: »I am what I am.« Sogleich brandet Applaus auf und Sprechchöre ertönen.
    »Catman, catman!«
    Ein wohliges Gefühl von Energie und Kraft flutet meinen Körper, und ich schmettere den Schlachtruf ein weiteres Mal ins Rund.
    »I am what I am.«
    Wieder huldigt mir das Publikum frenetisch: »Catman, catman!«
    Es entsteht ein einzigartiger Kanon, der über mehrere Minuten hin und her schwappt. Eine Symbiose aus Selbstvertrauen und Urin. Ich befürchte aufgrund der Begeisterung im Saal, dass es nun unweigerlich zu einem Gruppenpinkeln kommen wird oder sich zumindest einige ihre Katheter aus dem Leib reißen. Doch stattdessen feiern und lieben sie mich wie einen Messias. Und ich? Ich erwidere ihre Liebe. Ich liebe meine weißhaarigen Greise und will nie wieder ohne sie sein.

51
    Im Urin-Nirwana
    01:45 Uhr:Zurück in der Kabine. Dank der frenetischen Huldigung bin ich immer noch so voll Adrenalin, dass ich mich im Bett von einer Seite auf die andere drehe.
    02:12 Uhr: Ich finde einfach keinen Schlaf. Was, wenn Melinda van Carlson recht hat und scheinbar alles mit ein wenig Urin und Glauben möglich ist? Wenn ein wenig dieser körpereigenen Flüssigkeit genügt, um mich zu heilen? Ja, was wenn …?
    02:36 Uhr: Ich schalte das Licht ein und stehe auf. Wie ein Tiger in seinem Käfig gehe ich die neun Quadratmeter meiner Kabine immer wieder auf und ab.
    03:10 Uhr: Mein Flieger wird in exakt acht Stunden abheben und mich samt Kater zurück nach Frankfurt bringen. Romeo liegt in seiner Ecke und bekommt von dem Ganzen nichts mit. Wenigstens er kann schlafen.
    03:11 Uhr: Hatschi! Hatschi! Hatschi!
    03:12 Uhr: Ich dreh durch oder stürz mich gleich über die Reling. Auch ich will endlich mal wieder schlafen! Atmen und schlafen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?!
    03:19 Uhr: Ich betrachte mich im Badezimmerspiegel. Zwar sind die Quaddeln an meinem Körper fast komplett abgeklungen, und auch meine Nase hat sich einigermaßen regeneriert, aber Niesen und Röcheln gehört noch immer zu meinem täglichen Überlebenskampf. Und die Aussicht auf eine zweijährige Spritzenkur löst in mir auch keine überschwängliche Freude aus. Wenn ich nur schon an die Nachmittage im Wartezimmer mit all den Sörens dieser Welt denke, wird mir schlecht.
    03:51 Uhr: Wenn diese Melinda van Carlson ihre Migräne und Arthrose weguriniert hat, kann ich mein Leiden mit ein wenig Glück vielleicht auch in den Griff kriegen. Was habe ich schon zu verlieren? Okay, vielleicht ätzt mir die Harnsäure meine kompletten Schleimwände aus der Nase, aber wenn ich so wieder genug Luft bekomme, soll mir das auch recht sein.
    03:57 Uhr: Die Minibar wird um ein Fläschlein Wodka erleichtert.
    04:02:04 Uhr: Ich lege mich wieder ins Bett und lösche das Licht. So ein Quatsch, Urin durch die Nase laufen lassen. Pah! Das geht schon mal gar nicht … igitt.
    04:02:34 Uhr: Hatschi! Hatschi! Hatschi!
    04:02:39 Uhr: Ich entschließe mich zum
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