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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis
Autoren: Jeet Thayil
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durch den Raum zu: »He, Boss, krieg ich heute noch irgendwann meine Pyali? Ich bin seit einer halben Stunde hier und habe keine Lust, noch länger zu warten.« Irgendwer hüstelte, dann wurde es still. Äußerst widerwillig, wie mir schien, stellte Bengali eine Pyali auf Dimples Tablett.
    »Ich glaube, man mag Sie hier nicht besonders«, sagte ich.
    »Ach, scheiß drauf, ohne mich abzusichern würde ich nie in eine Kaschemme wie diese gehen.« Er schaute bedeutungsvoll auf seine Aktentasche. »Und? Wo kommen Sie ursprünglich her?«
    »Aus Kerala in Südindien.«
    »Undu Gundu Land. Ich weiß, wo das ist. Haben Sie deswegen Ärger?«
    »Wenn ich den Fehler begehe, die Einheimischen hier auf Malayalam anzureden, dann ja.«
    »Einheimische? Wie mich, meinen Sie? Ach was, keine Sorge, die Dinge ändern sich, euch Südländern passiert hier schon nichts. Wir sind auf größere Beute aus.« Er senkte die Stimme und sagte: »Mossies.«
    »Lautet so die neue Strategie, die Ihnen Freunde und ein gutes Einkommen sichert?«
    Er stützte sich auf einen Ellbogen, um mich besser ansehen zu können. »Vorsicht, mein Freund, mit dem, was Sie da sagen. Bestimmt haben Sie die Wampe voll Opium, und deswegen ist Ihnen alles egal. Oder Sie wollen abnibbeln und überlegen, wie’s am schnellsten geht. Kann auch sein, Ihr Schädel ist nur voller Wanzen so wie meiner.« Er lächelte, ein breites, herablassendes Lächeln, und hielt mir die Hand hin, der Griff fest und feucht. »Wie auch immer, ich heiße Rumi. Und Sie?«
    »Dom.«
    »Mit so einem Namen sind Sie echt beschissen dran. Da haben Sie mit diesen Leuten wirklich nur die Pfeife gemein.«
    »Was ist das für Musik, die Sie hören?«, fragte ich.
    •••
    Er gab mir die Kopfhörer. Ein schriller Klang wie der Soundtrack eines Films, in dem Szenen beliebig aneinandergereiht waren, oder man hatte den Film zerschnitten und spielte die Abschnitte nun rückwärts ab oder absichtlich ganz durcheinander. Flaschen klirrten, eine Tür knarrte auf. Ein Schuss fiel. Ein Kind flüsterte: Ist er da? Wo ist er? Eine Frau weinte und sagte:
Nahi, nahi
. Da war das Geräusch von Wasser, das aus großer Höhe herabprasselte. Eine Tür fiel quietschend zu, eine Flasche zerbarst auf Fliesenboden. Die hohe Stimme einer Frau stürzte durch die Oktaven, ein Schuss fiel. Ein Mann hechelte wie ein Hund. Ein Kind weinte, und Wasser schlug an ein Boot oder einen Toten. Champagnerkorken knallten, es klingelte an der Tür. James-Bond-Gitarren spielten gegen ein Cowboy-Streichorchester an. Das Kind sagte: Er ist hier. Wo ist hier? Die Stimme der Frau, mit Hall und Whisky unterlegt, absolvierte einen weiteren perfekten Höhensturz, und ich meinte plötzlich, in die Tiefe zu sinken, ein Gefühl wie ein Schwindelanfall. Ich hörte das Geräusch von Wasser, und Dimple reichte mir die Pfeife. Ich setzte sie an die Lippen, hörte einen Mann ›Monica‹ rufen, ›mein Schatz‹ und fühlte mich so schwindlig, dass ich die Augen schließen musste. Dann fragte eine Frau: Ist er da?, und ein Kind flüsterte:
Nahi
; es fiel ein Schuss, und alles wurde still. Ich nahm die Kopfhörer ab und gab sie Rumi zurück.
    Er sagte: »Bombay Blues.«

3 Ein Maler auf Besuch
    Ich las im
Free Press Journal
, dass Newton Xavier in der Stadt erwartet wurde. Er würde Gedichte lesen und Fragen zu seiner neuen Ausstellung beantworten, die diese Woche in der Jehangir Kunstgalerie in Kala Ghoda eröffnet werden sollte, die erste Ausstellung seit mehr als einem Dutzend Jahre. Mich begeisterte die Aussicht, ihn persönlich zu erleben. Ich wollte wissen, wie er aussah. Ich erinnerte mich an einige Werke, die ich gesehen hatte, auch an mehrere gelesene Artikel, in denen man ihn mit markigen Formulierungen pries, die wie Liebeserklärungen klangen. Die meisten Autoren waren sich darin einig, dass er brillant war und ein Enfant terrible; ein postmoderner Subversiver, der sich gegen die Etikettierung ›postmodern‹ wehrte; ein Trunkenbold, dessen epische Sauftouren mit denen von Dylan Thomas, Verlaine oder J. Swaminathan verglichen wurden, auch wenn er dem Alkohol kürzlich abgeschworen hatte, als er nach einem gewaltigen Blackout erst im Krankenhaus wieder wachgeworden war; ein wildes Kind, nun in mittleren Jahren, dessen Eskapaden selbst die ›der Romantiker übertrafen, zumindest hinsichtlich Intensität und Wut‹, so die
London Review of Books
. Die
Daily Mail
drückte es schlichter aus: Er sei ›permanent berauscht vom Sprit, Schick
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