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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus
Autoren: Angela Carter
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End‹.«
    »Heiraten«, wiederholte Fevvers in einem Flüstern tief beeindruckten Widerstrebens. Doch nach einem Augenblick wurde sie munter.
    »Ach, Liz - denk doch aber nur an sein formbares Aussehen. Als ob eine Frau aus ihm machen könnte, was sie will. Er wird doch sicherlich, wenn wir uns wiedersehen, den Anstand haben, sich mir zu geben, anstatt das von mir zu erwarten! Er soll sich nur ganz mir überlassen, und ich werde ihn verwandeln. Du hast selbst gesagt, Lizzie, er ist noch nicht aus dem Ei geschlüpft - also gut, ich setz mich drauf, ich brüte ihn aus, ich mache einen neuen Mann aus ihm. Ich mache ihn sogar zum Neuen Mann, den angemessenen Partner der Neuen Frau, und Hand in Hand gehen wir dem Neuen Jahrhundert entgegen -«
    Lizzie bemerkte einen anschwellenden hysterischen Ton in Fevvers’ Stimme.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte sie kühl. »Ist wohl besser, man plant nicht zuweit voraus.«
    Fevvers dachte bei sich, daß die Äußerungen ihrer Ziehmutter grimmig wie die leere Landschaft um sie her waren. Sie pfiff, um sich etwas bei Laune zu halten: den »Walkürenritt«. Ein wenig rührend, ihr kleines Gepfeife mitten in Sibirien, aber sie hielt durch. Nach einer kleinen Pause versuchte Lizzie es anders.
    »Eins muß ich allerdings sagen: falls du nicht deine Geschichte an die Zeitungen verkaufen willst und Colonel Kearney zuvorkommen -«
    Fevvers, die hoffte, auf ein anderes Thema zu kommen, hörte auf zu pfeifen und fügte rasch hinzu:
    » - den wir ja, Lizzie, in der Presse wegen seiner Geschäftsmethoden an den Pranger stellen könnten und wegen der Art, wie er seine Angestellten behandelt -«
    »Falls du dich nicht im Druck verkaufen willst, kann ich in dem hier jetzt überhaupt keinen Profit sehen, so sehr ich mich anstrenge. Und vielleicht ist es ein Zeichen moralischer Reife -«
    Fevvers fing wieder zu pfeifen an, doch Lizzie fuhr unerbittlich fort:
    » - daß du diesem Burschen nur wegen seines Körpers hinterher bist, nicht für das, was er dir zahlen wird. Wenn auch deine akute Attacke von Moral langfristig etwas unbequem werden könnte, falls sie chronisch wird; könnte die Finanzierung des Kampfes gefährden.«
    »Bist du fertig? Bist du wirklich ganz fertig? Warum kommst du eigentlich mit, wenn du doch bloß nörgelst?«
    »Du hast nicht die geringste Ahnung vom menschlichen Herzen«, sagte Liz düster. »Das Herz ist ein tückisches Organ, und du neigst arg dazu, die Sachen zu überstürzen. Ich habe Angst um dich, Sophie. Sich verkaufen ist eins und sich geben ein anderes, aber, Sophie! wenn du dich vor lauter Überstürzung wegwirfst? Was ist dann mit deiner einzigen ›Ich-heit‹? Auf dem Müllhaufen ist sie gelandet! Ich hab dich aufgezogen, daß du gen Himmel fliegst, nicht damit du auf einem Haufen Eier hockst!«
    »Eier? Was haben denn Eier damit zu tun?«
    Und sie hätten sofort wieder angefangen, sich zu streiten, wenn sie nicht in diesem Moment - seit Meilen das erste Zeichen menschlichen Lebens - eine zerbrechliche kleine Hütte aus Zweigen gesehen hätten, an eine Kiefer von großväterlichen Dimensionen gelehnt. Zunächst hätte man die Schutzhütte gar nicht bemerkt, denn sie hatte keine Türen, keine Fenster oder irgendwelche Öffnungen, so daß sie eher einem Holzstoß glich als einer primitiven Hütte, doch hier in der Wildnis war ein Holzstoß ebenso ungewöhnlich wie eine Yacht, und außerdem hörten sie im Näherkommen von drinnen unterdrücktes Stöhnen und Schluchzen.
    Liz winkte Fevvers, zurückzubleiben, denn die kleine Frau war flinker auf den Beinen und weniger geräuschvoll als die schwer auftretende aerialiste, und sie schlich sich an die Hütte, leise genug, um ihre Bewohner, wer immer darin auch lauern mochte, zu überraschen. Doch die Frau, die dort auf einem Haufen dreckigen Strohs lag, war nicht in der Lage, Überraschung zu zeigen.
    Lizzie zog einen Holzklotz beiseite und spähte hinein. Draußen herrschte das graue Licht des Endes eines kurzen Tages, und drinnen gab es kein Licht oder Feuer, so daß sie hastig nach den Streichhölzern suchte, die sie bei dem Maestro gestohlen hatte. Beim Schein der kleinen Flamme sah sie die hingestreckte Frau, die trotz der bitteren Kälte der nahenden Nacht nichts als ein altes fransenbesetztes Hirschlederkleid trug, das in der Mitte aufgeschlitzt war und ihren immer noch sich wölbenden Bauch freiließ. Vielleicht hatte sie die Bettdecken abgeworfen, denn sie wirkte fiebrig, fast delirierend -
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