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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus
Autoren: Angela Carter
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ihr auf, daß der Türrahmen mit noch mehr roten Bändern, Federn und Knochen (hm!) geschmückt war. Als sie klopfte, kam von drinnen ein gedämpftes Knurren, das Geräusch hastiger Bewegung, ein Aufschlag, dann die Stimme eines Mannes, laut in einer unbekannten Sprache.
    »Heißt das ›Herein‹?«
    Fevvers zuckte die Schultern.
    »Mach auf. Mir ist’s hundekalt.«
    Sie stießen die knarrende Tür auf. Innen kein sichtbares Lebenszeichen - man konnte aber auch nicht viel sehen, denn das zugige Innere des Gebäudes wurde nur von einer flackernden Lampe erhellt, die aus einer Blechuntertasse bestand, gefüllt mit geschmolzenem Bärenfett, in dem der Docht in ständiger Gefahr des Schiffbruchs schwamm. Diese Lampe hing an Schnüren vom Gebälk und schwankte in den Luftzügen, so daß die Schatten mit unheimlicher Unvorhersehbarkeit kamen und gingen, wobei da und dort Licht auf wenig vertrauenerweckende Gegenstände an den Wänden und in den Ecken fiel, seltsam geformt und merkwürdig bemalt, die wie plumpe schweigsame Bewohner überall kauerten, aber immer wieder beinahe sofort in der Finsternis versanken.
    Unter der Lampe stand ein langer Tisch mit ein paar seltsamen Flecken, darauf eine große flache Holzschüssel, nicht mit einem Spatel ausgehöhlt, sondern mit Feuer ausgebrannt, und ein Steinmesser von altertümlicher Form, aber sehr scharf geschliffener Klinge. Auf dem festgetretenen Erdboden um den Tisch waren Kleckse und Flecken alten Blutes, Spuren von Fell und Federn, in das Erdreich hineingetreten von den Füßen wohl der Priester und Gläubigen. Der Geruch war entsetzlich, wie Weihrauch und Tod, und es war sehr kalt.
    »Was hab ich gesagt?« sagte Lizzie. »Eine von ihren Kirchen. Typische Atmosphäre.«
    Etwas - der Wind in den Dachbalken, eine Ratte, ein versteckter Priester - raschelte, als sie sprach. Und der Raum war so schlecht beleuchtet, daß die gesamte Dorfbevölkerung in der dicken, unheimlichen Dunkelheit versteckt hätte hocken können. Es lag eine alptraumhaft-klaustrophobe Atmosphäre über dem Ort, die noch voll gespannter Erwartung war, als hätte ihre Ankunft etwas Schlimmes verhindert, aber als wären die Akteure des unterbrochenen Rituals geduldig, könnten warten, als warteten sie nun und schauten, was diese Wesen vorhatten, die die Mutter und das Kind in das Dorf zurückgebracht hatten. Speziell errichtet für heilige, geheime, archaische Praktiken, für Offenbarungen, Beratungen mit den Toten, Opfer, war die wilde Kirche so gebaut, daß sie beeindrucken sollte, und sie tat es.
    Lizzie und Fevvers jedoch verdankten ihre Überlebensfähigkeit der Weigerung, sich von ihrer Umgebung beeindrucken zu lassen. Fevvers legte die junge Mutter sanft auf den Tisch und stöhnte erleichtert; sie reckte ihre müden Arme. Die junge Mutter öffnete die Augen und besah ihre Umgebung. Die Götterhütte ihres Heimatdorfes! Und weshalb hatte das Baby zu weinen aufgehört? Sie entdeckte, daß sie sich etwas weniger schlecht fühlte und begann, Kräfte zu sammeln, um aufzustehen und die Vorbereitungen für ihr eigenes Begräbnis zu untersuchen, das, wie sie sicher annahm, bevorstand.
    »Paß auf!« zischte Lizzie.
    Es saß ein Mann in der Ecke.
    Nein, kein Mann. Die Frauen atmeten weiter. Dort in der Ecke - nun erleuchtet, nun wieder dunkel, wie die Lampe hin-und herschwang - stand ein hölzernes Götterbild, etwas größer als die kleine Lebensgröße der Waldleute, in Pelze, Tücher und Mieder gehüllt, und auf seiner Brust hing ein weißes Hemd, dessen Brust steif vor getrocknetem Ei stand. Fevvers’ Herz pochte, als sie das sah. Der Kopf des Idols trug mehrere dreieckige Mützen aus schwarzem, blauem und rotem Tuch, aber vom Gesicht war nicht viel zu erkennen, da die Pelze und Tücher und Stückchen Spitze, Blech und Band es bedeckten. Das Maul schien jedoch bleckend aufgerissen, und die Augen - Scheiben aus gehämmertem Blech - blitzten auf, wenn sie das schwankende Lampenlicht besuchte.
    Das Idol sprach.
    »Woher kommst du? Wohin gehst du?«
    Das erschrockene Baby heulte, als das Idol in gutem Amerikanisch fragte. Die junge Mutter sprang vom Tisch - dieser Schrei war auf keinen Fall postum! - und kämpfte mit Lizzie um den Besitz des Babys, wobei sie dem Lärm ihre eigenen kreischenden Rufe hinzufügte. Lizzie händigte ihr das Baby aus, damit sie ein knurrendes Etwas festhalten konnte, das unter dem Tisch hervorkam, wohin der Schamane es mit einem Tritt geschoben hatte, als das Opfer unterbrochen
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