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Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Titel: Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut
Autoren: Ivy Anderson
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leider im Wege. Mama wiederum vermochte ihn wegen der eigenen Liebe nicht zu verlassen und schlug so die von Lenin in Aussicht gestellte eigene Ausreise mit den Kindern ebenfalls aus. So waren wir alle in unserem Schicksal fest aneinander gebunden.
    Erst die Nachricht von der Erschießung unsers Onkels Michail vor einem Monat ließ Papa seine Haltung ändern. Zuvor hatte er offensichtlich nicht geglaubt, dass man ihn wirklich verurteilen wollte. Er kannte wohl sein eigenes Land nicht.
    Leider wurde der Graf von Mirbach-Harff am 07. Juli durch ein Attentat in Moskau ermordet. Dadurch schien ein gutes Ende nicht mehr möglich. Mama rechnete durch Rasputins Prophezeiung mit dem Schlimmsten und versuchte uns mit religiösen Gesprächen Mut zu machen.
    Papa und ich wussten, dass sie dem Glauben zum Trotz die Gefäße mit dem sündigen Blut dabeihatte. Sie trug sie an ihrer Brust, sodass es selbst Papa nicht gelang, ihr diese zu entwenden. Er war der Meinung, das Blut wäre die größte aller Sünden. Der Tod wiege dagegen leicht.
    Was gab es da noch zu sagen?
    Seit Rasputins Ermordung und der gemeinsamen Fahrt in die geheime Schatzkammer hatte Mama nicht mehr mit mir über die Ampullen gesprochen. Für wen sie die zweite bestimmte, wusste ich nicht. Das blieb bis jetzt ihr Geheimnis. Ich verstand jedoch, wenn sie mir das Blut gab, war unser Tod nah.
    Unser Bruder würde wohl nie ein Zar werden. Vielleicht war das auch besser so. Das böse, hinterhältige und grausame Russland verdiente ihn ohnehin nicht.
    Wir bekamen jetzt nur noch das gleiche Essen wie die Bewacher. Das gehörte zu unserer Erniedrigung. Das Abendessen war zwar auch heute karg und einfach, jedoch hatte der freundliche Koch den Wunsch meiner jüngsten Schwester, Maria, erfüllt und zusätzlich russische Plinsen mit Apfelstückchen in der Pfanne gebraten. Solche Abwechslungen waren selten geworden. Er konnte sich dadurch schnell den Ärger des neuen Kommandanten zuziehen.
    Ljoschka und ich hatten die Plinsen bisher noch nicht angerührt. Mein Bruder mochte sie gar nicht und ich hatte mir die Leckerei für den Schluss aufgespart.
    Pawel Medwedew, der die Außenwachen befehligte, trat in den Raum, der uns als Esszimmer und Wohnzimmer gleichzeitig diente. Seine Augen musterten unseren Tisch. Interessiert schaute er auf die Küchlein. Sein Gesichtsausdruck wurde gierig, er sagte jedoch nichts. Man sah aber, dass er selbst gern ein solches Küchlein gegessen hätte.
    „Herr Kommandant, dürfen wir Ihnen eine Plinse anbieten?“, fragte ich diesen direkt.
    Papa nickte anerkennend und Mama lächelte. Zwar mochten wir unsere Bewacher nicht, bemühten uns aber ihnen gegenüber um Höflichkeit. Man hatte uns gelehrt, dass alle Wesen von Gott kämen, und so müssten wir sie respektieren, auch wenn sie uns im Moment negativ gegenüberstanden.
    Man sah, dass der Rotgardist mit sich rang. Medwedew wollte wohl keine Geschenke der „Ausbeuter“ annehmen, andererseits war die Lust auf den seltenen Leckerbissen groß.
    Er trat zum Tisch und griff sich mit seinen schmutzigen Fingern – so als gehörte sie ihm ohnehin – die vor mir liegende Plinse.
    Ein Ungar, der sich auf jüdische Art an der Seite zwei längere Zöpfe hatten wachsen lassen, trat ebenfalls ein. Da die Ungarn zumeist kein Russisch sprachen, redeten wir sie auf Deutsch an. Das beherrschten die meisten von ihnen, da es die erste Amtssprache in ihrem Land war.
    Wir alle beherrschten recht gut Deutsch und auch Französisch. Mama gab sich sehr viel Mühe, uns ihre Muttersprache beizubringen. Wir sollten auf diese Weise nicht vergessen, dass wir solche Wurzeln hatten. Seit Papas Abdankung hatte sie die freie Zeit für den Unterricht genutzt. Scheinbar hoffte sie heimlich auf ein dortiges Exil.
    „Möchten Sie auch ein Küchlein?“, wagte ich den Ungarn trotz Medwedews Unverfrorenheit zu fragen.
    „Aber gern, Madam!“, antwortete der Mann in korrektem Deutsch.
    „Was tuschelt ihr da?“, fuhr der Kommandant der Außenwache uns auf Russisch an. Es war ihm suspekt, dass er unsere Unterhaltung nicht verstand.
    „Wir haben ihm nur ebenfalls eine Plinse angeboten“, versuchte Mama die Situation zu erklären.
    Der Aufgebrachte knurrte unzufrieden, schritt aber nicht ein, als ich dem Ungarn die Plinse von Alexej reichte. Dieser verspeiste sie dankbar.
    „Schmeckt sehr gut!“ Er ließ es sich nicht nehmen, höflich zu sein.
    Medwedew brummelte so etwas wie: „Verfluchtes deutsches Gesindel!“
    Dann wandte er
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