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Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Titel: Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut
Autoren: Ivy Anderson
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erklärte Alexej stolz.
    Alle lachten bis auf Papa. So ausgelassen war die Stimmung schon lange nicht gewesen. Hoffnung erfüllte endlich wieder unsere Herzen.
    „Radola Gajda“, flüsterte ich.
    Niemand durfte diesen Namen laut aussprechen. Die Eltern erröteten und sahen vorsichtig zur Tür.
    Der junge General war der erfolgreiche charismatische Führer der Tschechischen Legionen und jetzt unsere letzte Hoffnung. Der Bürgerkrieg hatte auch den Ural erreicht. Es schien so, als würde es den Angreifern gelingen, Jekaterinburg zu befreien. Sie attackierten nun die Stadt. Das war gewagt.
    Mit diesem unerwarteten und schnellen Vorstoß hatten die Bolschewiken und auch wir nicht gerechnet. Die Revolutionäre glaubten immer alles besser zu wissen und hatten ihren Gegner offensichtlich unterschätzt.
    Durch den Frieden mit den Deutschen und deren Eroberung der Ukraine waren die Versorgungswege nach Zentralrussland erheblich gestört. Die Bolschewiken wollten die Tschechische Legion entwaffnen, da die Deutschen das forderten. Die Entente wollte dagegen die Kriegsgefangenen ausschiffen und nun gegen die Deutschen und Österreicher in den Krieg ziehen lassen. Russland war der ehemalige Verbündete.
    Als diese sich weigerten, die Waffen abzugeben, beschlossen die Rotarmisten alle Verweigerer zu erschießen. In einem Sturm der Entrüstung erhoben sich darauf die kriegserfahrenen tschechischen Einheiten und schmetterten ihre weniger erprobten Gegner nieder. Tschechen und Weißgardisten hatten sich verbündet und kämpften nun gemeinsam. Niemand hatte das bis vor Kurzem für möglich erachtet. Wurden wir vielleicht doch noch im letzten Moment gerettet?
    Mama meinte, nur unsere Gebete hätten Gott dazu bewogen. Wir sollten umso eifriger beten. Vielleicht würden wir doch noch die ersehnte Freiheit erlangen.
    „Wird er es schaffen?“, fragte Alexej mit kindlicher Freude.
    Wir sahen Vater an. Der war der einzige militärische Experte.
    „Unsere Bewacher sind sehr nervös. Einige werden freundlicher, als wenn sie sich mit uns gut stellen wollten. Das spricht für eine einschneidende Veränderung.“
    „Aus welchen Himmelsrichtungen kommt der Donner?“ Mama wollte es genau wissen. Worauf zielte die Frage?
    „Auch aus dem Westen“, antwortete Papa.
    „Sie kreisen die Stadt ein und unterbrechen die Versorgungswege. Es sieht nicht gut für die Roten aus!“
    Mama lief feuerrot an.
    „Was bedeutet das für uns?“ Maria verstand die Zusammenhänge nicht.
    „Das heißt, dass ihre Nachschublinien unterbrochen sind und sie uns nicht nach Westen abschieben können“, erklärte ich.
    Ljoschka sah Papa eindringlich an.
    „Papa, ich will, dass du mit uns das Land verlässt, wenn wir befreit werden! Du sagst doch, ich wäre nun der Zar. Ich befehle es dir!“
    Papa schaute Alexej mit feuchten Augen und voller Liebe an.
    „Ich weiß, es war falsch, zu bleiben. Verzeiht mir! Diesmal komme ich mit. Es soll nicht an mir scheitern. Russland will uns nicht mehr. Ich verspreche es, wir fliehen!“
    Wir konnten die Freude nicht mehr unterdrücken und fielen uns schluchzend in die Arme. Zum Glück sah uns niemand von den Bewachern.
    „Olga hat gesagt, dass sie Radola Gajda heiraten will, wenn er uns befreit“, verriet mich Tatjana.
    Alle lachten.
    „Meinetwegen auch das!“, stimmte Papa zu. „Da gibt es Schlimmeres!“
    „Ich nehme dich beim Wort!“, sagte ich ernst.
    „Ich weiß“, erwiderte Papa. Seine Stimme klang traurig.
    Mama schwieg, sie dachte wohl wirklich darüber nach.
    „Vielleicht sehen wir Oma wieder?“, murmelte Alexej. Er hing sehr an ihr. Sie war als Einzige von unserer Familie in Sicherheit und hielt sich in der von den Deutschen besetzten Ukraine auf.
    „Lasst uns still beten“, schlug Mama vor. „Ihr wisst, wofür!“
    Wir alle begannen inbrünstig und leise es zu tun. In diesem Moment öffnete sich die Tür. Der Kommandant Jakow Michailowitsch Jurowski kam herein und musterte uns. Er wollte wohl wissen, wie seine Gefangenen den sich nähernden Kanonendonner aufnahmen. Als der Eintretende uns auf diese Weise beschäftigt sah, schloss er zufrieden die Tür.
    „Fang an, Tatjana“, forderte meine Mutter, nachdem wir unsere Gebete abgeschossen hatten.
    Tatjana wählte nun das hoffnungsvollste der Bücher und begann daraus vorzulesen.
    Unsere Gedanken folgten aber kaum dem Text, sondern waren nach draußen gerichtet. Es klang so, als würde der Donner wirklich lauter. Vereinzelt hörte man auch weit
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