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Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut

Titel: Naechte der Leidenschaft + Berlins Blut
Autoren: Ivy Anderson
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entferntes Maschinengewehrfeuer.
    Da Mama merkte, dass wir nicht so recht bei der Sache waren, schickte sie uns fort.
    „Geht heute etwas früher auf eure Zimmer. Nicky und ich wollen noch etwas unter uns sein und Karten spielen.“
    Die beiden nutzten solche Gelegenheiten, um in entspannter Atmosphäre über wichtige Dinge zu sprechen, welche nicht für unsere „Kinderohren“ bestimmt waren.
    Papa erhob sich und umarmte jeden von uns. Als er mich küsste, flüsterte er mir etwas ins Ohr.
    „Denk an den Wolf in der Ecke!“
    Nur mir gab er diese Warnung.
    Daran hatte ich in meiner Euphorie noch nicht gedacht. Ein in die Ecke getriebener Wolf ist besonders gefährlich. Die Bolschewiki könnten uns töten, bevor sie eine Befreiung zuließen. Das hatte Papa mir mit dem Gleichnis mitteilen wollen.
    Meine Hoffnung brach weg wie das Holz eines morschen Dachbodens. Für einen Moment wurde mir schwindelig und das Herz zog sich schmerzhaft und eisig zusammen. Es war dieses Gefühl, als hätte man Schwindel und fiele gleichzeitig in ein unendliches Loch. Furchtbare Angst erfüllte mich. Wir waren noch viel zu jung zum Sterben.
    Alle anderen lächelte Papa an, als müssten sie nichts fürchten. Seine wirklichen Sorgen verbarg er vor ihnen. Angst schnürte trocken und kalt meinen Hals zu. Ich konnte aber mit niemandem darüber sprechen. Alle Geschwister fühlten sich für den Moment so glücklich. Wie schwer musste diese Last für Papa sein?
    Nachdem unsere Eltern ihr Kartenspiel beendet hatten, lasen Tatjana und Mama einander vor dem Schlafen noch aus dem Buch des Propheten Amos vor. Voller Gedanken wälzte ich mich im Bett, konnte nicht einschlafen und lauschte gleichzeitig angstvoll dem Kanonendonner.

Zarenmord im Ipatjew Haus

    Seit zwei Wochen hatte Jakow Michailowitsch Jurowski hier das Sagen.
    Er war von Alexander Beloborodow, dem Vorsitzenden des Uraler Gebietssowjets, zum Kommandanten ernannt worden.
    Mama sagte, dass wir von ihm nun das Schlimmste zu befürchten hätten. Um seine eigentlichen Wurzeln zu vertuschen, wäre er in Deutschland vom Judentum zum Protestantismus übergetreten und dann sogar noch Bolschewik geworden.
    Gleich einen Tag nach seiner Ankunft zwang er uns, sämtlichen Schmuck abzugeben. Jedes einzelne Stück, das wir trugen, ließ er sich vorlegen, notierte es akribisch und verschloss das Eingeforderte in einem versiegelten Umschlag. Diesen wollte er angeblich für uns aufbewahren und jeden Tag das Siegel auf Unversehrtheit prüfen. Doch wir glaubten das nicht.
    Heute wurden wir plötzlich kurz nach Mitternacht geweckt und mussten alle in das große Eckzimmer neben der Vorratskammer im Keller gehen. Durch den nahenden Kanonendonner und Papas Warnung hatte ich sehr schlecht geschlafen. Im Flur stand eine Gruppe von mit Karabinern bewaffneten Soldaten. Einige von ihnen trugen die ungarische Uniform, verziert mit Rotgardisten-Abzeichen. Sie blickten uns teilnahmslos an. Die anderen, in der russischen Uniform, schauten weg. Unter ihnen war auch Hauptmann Pawel Medwedew, der als Kommandant der Außenwachen nach Jakow Michailowitsch Jurowski das Sagen hatte. Ich hatte ihm gestern noch ein Stück Kuchen angeboten.
    Auf Papas Nachfrage, was das hier solle, erklärte Medwedew uns, es sei nur zu unserer Sicherheit, da mit einem Angriff der Weißgardisten zu rechnen wäre. Er grinste dabei merkwürdig und meinte, man werde uns wohl verlegen müssen.
    Mama drückte mir hastig etwas in die Hand und sah mich bedeutungsvoll an. Ich ahnte, um was es sich handelte und schaute erschrocken zurück. War es tatsächlich so weit? Mein Herz übersprang einen Schlag. Es war eine der Phiolen aus der geheimen Schatzkammer.
    Sie lächelte, um mir Mut zu machen. Dies ließ keinen Zweifel zu. Mir wurde eisig kalt und meine Hände zitterten unkontrollierbar. Fast entglitt mir das kleine Gefäß mit dem besonderen Blut.
    Doktor Botkin, der Leibarzt, hatte unsere drei Diener geweckt und kam mit ihnen herunter. Nur der neue Kammerdiener Leonid Sednew war nicht dabei, er hatte gestern noch Ausgang bekommen.
    Papa trug Ljoschka auf den Armen, da man mit dem Rollstuhl schlecht hierher hinkam. Sie hatten beide Uniformhemden an und ungewöhnlicherweise Fellmützen auf dem Kopf. Unser Vater war offensichtlich in Sorge, dass wir nach draußen gebracht und sich der kleine Zarewitsch dabei erkälten würde.
    Wir Mädchen hatten unsere Mieder und Kleider angezogen. Mama hatte zwar Tränen in den Augen, schluchzte aber nicht. Diese
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