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Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Balkons.
    Durch eine sich sanft senkende Wiese floß ein Bach, und an diesem Bach hockte ein Junge und versuchte, mit einer selbstgebastelten Haselnußangel einen Fisch zu fangen.
    Birgits Herz blieb stehen. Auch Alfs Kehle schnürte sich zu.
    Jörgi. Unser Jörgi –
    Gerrath hupte. Der Junge sprang auf, warf die Angel weg und rannte mit ausgebreiteten Armen die Wiese hinunter zum Weg.
    »Mutti!« schrie er mit seiner hellen Jungenstimme. »Mutti. Meine Mutti ist da! Und Pappi! Mein Pappi!«
    »Pappi …!« schrie Jörgi und hing an Brockmanns Hals. »Pappi … hast du mir ein Krokodil mitgebracht? Du weißt doch … du hast mir aus Ägypten ein Krokodil versprochen …«
    *
    Wochen später brachte die Post zwei Briefe.
    Der erste war in Frankfurt abgeschickt und enthielt einen Zettel mit großen, noch ungelenken Buchstaben.
    »Das sind die ersten Zeilen, die ich schreibe …«, stand darin. »Noch ist alles halbdunkel, und ich muß große Buchstaben malen, um sie zu sehen und zu kontrollieren. Aber ich kann wieder sehen, ich kann Rot und Grün unterscheiden, dunkel und hell, einen Menschen von einem Tier, ein Fenster von einer Tür. Ich kehre ins Leben zurück. Noch zwei weitere Operationen, und Professor Maintz meint, daß dann die Sehkraft zu drei Viertel wiederhergestellt ist. Mehr nicht … aber – o Himmel – was ist dies für eine Lichtfülle. Ich bin so glücklich. Heute morgen habe ich einen Vogel gesehen. Einen grünen Vogel mit einem roten Käppchen. Das alles kann ich wieder sehen. Ich bin so glücklich, daß ich ganz vergesse, was ich eigentlich schreiben wollte … immer nur: Danke … danke … danke … danke … danke … danke … Lore.«
    Der zweite Brief war noch kürzer.
    Er war in Tanger abgestempelt.
    »Ich grüße Euch aus meiner Heimat. Ich bin hier in Tanger als Zimmermädchen in einem internationalen Hotel. Meine Aufgabe ist sehr interessant. Man lernt viele wichtige Personen kennen. Wenn Ihr nach Tanger kommt, so fragt nach Ashraf Belimah. So heiße ich jetzt. Ich denke viel an Euch, und diese Erinnerung ist süß wie eine reife Mangofrucht. Ob ich glücklich bin? Fragt nicht danach. Ich lebe – das allein gilt. Der Herr beschütze Euch auf ewig. Eure Aisha.«
    Brockmann legte die beiden Briefe stumm in einen elfenbeinernen Kasten und verschloß ihn.
    Vergangenheit und Zukunft war in ihnen, und es lohnte sich, beides zu verwahren.
    Dann ging er hinaus in den Garten und kniete sich wieder neben seinen Sohn Jörgi in den großen Sandkasten. Wegen der Post hatte er den Bau einer großen Burganlage unterbrechen müssen.
    Jörgi saß nachdenklich auf dem Holzrand des Sandkastens, den Kopf in beide Hände gestützt und überblickte kritisch das halb vollendete Bauwerk seines Vaters.
    »Da stimmt was nicht, Pappi«, sagte er, als Brockmann sich wieder in den feuchten Sand kniete und neue Formen knetete.
    »Was stimmt nicht, mein Sohn?« fragte Alf.
    »Wenn das da der Nil ist … wo sind denn dann die Schiffe?«
    »Die siehst du jetzt nicht.«
    »Und warum nicht, Pappi?«
    »Weil es Nacht ist, mein Sohn. Eine der Nächte am Nil, die so finster sind, daß man seine eigenen Schuhspitzen nicht mehr sieht.«
    Jörgi hob den Kopf. »Jetzt lügst du aber, Pappi!« rief er.
    Brockmann lachte. Er machte eine weite Handbewegung und zerstörte damit alles, was er bisher in den Sand gebaut hatte.
    »Oh, Pappi!« schrie Jörgi. »Warum machst du das?«
    »Wir bauen etwas ganz anderes, mein Junge.« Alt Brockmann setzte sich neben seinen Sohn auf den Sandkastenrand. »Ich baue dir ein kleines, schönes Haus mit einem Garten, der hinuntergeht bis zum Schiffskanal. Ein Häuschen wie unser Haus.« Er legte den Arm um die Schultern Jörgis und zog ihn an sich. »Du weißt noch gar nicht, wie unbeschreiblich schön es ist, ›zu Hause‹ sagen zu können.«
    Sie saßen auf der Sandkiste und blickten über Garten, Haus und Kanal. Ein Schlepper zog drei Lastkähne an ihnen vorbei, bunte Wäsche flatterte im Wind, aus dem Schornstein quoll puffend der Rauch und stieg zu den Wolken empor. In der Ferne, irgendwo auf dem Kanal, tutete ein Horn.
    »Pappi –?«
    »Ja, mein Sohn?«
    »Wenn ich groß bin, gehe ich auch nach Ägypten.«
    »Natürlich, mein Sohn.«
    Alf Brockmann nickte. Er lächelte.
    Wenn du groß bist – dachte er.
    Wer weiß, wie dann die Welt aussieht.
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