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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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unverdient. Ich sprach es laut aus, und du, vor mir in der Reihe, drehtest dich um und sagtest: Manche Menschen sind von Geburt hübscher als andere. Unsere Namen wurden in große Bücher geschrieben. Ich denke immer, sie lassen mich nicht rein, sagte Tico. Auch vor dem Schalter mit den Jetons standen wir Schlange. Als hätten wir es abgesprochen, verzogen wir uns danach in verschiedene Ecken. Aberglaube, nicht wollen, daß ein anderer neben einem steht. Verlust darf keine Ursache haben. Nigel verschwand zum Pokern, das hätte ich mich dort nie getraut. Gilles und der Baron zum Bakkarat, das ähnelt noch am meisten unserem Slof. Die anderen suchten sich jeder einen eigenen Roulettetisch. Erst standest du noch kurz neben mir, schautest, wie die Einsätze lagen, und sagtest, wieder ein Labyrinth. Das war das letzte Mal, daß ich dich so nah bei mir hatte. Es war ein großer Saal, ich sah, daß wir uns wie eine Armeepatrouille verteilt hatten, die ein Kampfgebiet durchkämmen soll. Roulette habe ich, glaube ich, immer gespielt mit dem Ziel, zu verlieren, das warparadoxerweise die einzige Methode, um manchmal zu gewinnen. Nicht so an jenem Abend. Ich tat, was ich immer tat, eine popelige Kombination aus Abenteuer und Angst. Französische Franc, da sahen hundert gleich nach was aus. Oh, wo ist das alte Geld nur geblieben! Gulden, Mark, Lire. Ich spielte Plein und setzte hundert auf die 23 und dann noch einmal hundert auf Rot. Ich wußte, so würde ich weitermachen, bis ich die Geduld verlor. Die 23 würde nie kommen, und wenn jedesmal Schwarz kam ( kein einziger statistischer Grund, warum es das nicht tun sollte, Nigel), würde ich den ganzen Scheiß, der mir noch geblieben war, komplett auf irgendeine beliebige Zahl setzen. Heute weiß ich, daß ich im Grunde verlieren wollte, ich wollte es hinter mich bringen. Habe ich immer schon gewollt. Erst danach konnte ich zuschauen. Fast niemand spielt zu seinem Vergnügen, es geht immer um etwas anderes. Das sieht man am sich bewegenden Unterkiefer, an den schiefen Blicken zur Seite, an der Art und Weise, wie jemand plötzlich aufsteht oder zuviel Trinkgeld gibt. Aber am interessantesten fand ich immer die Croupiers, die Zuteiler von Glück und Verhängnis, mit diesem gräßlichen Ton von Routine und metaphysischer Langeweile in der Stimme. Große Worte, Don Anselmo, aber trotzdem. Dann sag eben: massiver, alles korrodierender Langeweile. Mesdames, Monsieurs, rien ne va plus. Wirklich einer der schönsten Sätze, die man sichje ausgedacht hat. Darauf das hastige Setzen, doch noch jemand, der seinen Jeton auf der Transversalen von 1, 2 und 3 haben will, jemand, der halb auf der Null liegen möchte, dann das zweite, gnadenlose rien! , die bösartige Stille, bis die weiße Kugel auf die kreisende Scheibe fällt und hüpft, ein Geräusch, das sich mit nichts anderem vergleichen läßt. Zwei Arten von Spielern, solche, die schauen, und solche, die lauschen. Cinq, rouge, impair et manque . Was hattest du gesagt, an einem Abend bei Dodo? Du hattest die Bank, deine Hand auf den Karten, nichts geht mehr, meine Damen und Herren, was kommt, sind Krebs, Autounfall, Scheidung, Unglück, große Liebe, ein Diamant, so groß wie das Hilton. Niemand lachte. Wir waren clever genug, daran hatten wir alle längst selbst gedacht.

    Nach einer halben Stunde war alles futsch, was ich bei mir hatte. Ich sah dich in der Ferne an einem Tisch sitzen, neben deinem Verhängnis, aber das wußten wir da noch nicht. Er prostete dir mit einem Glas Champagner zu, ihr stießt an. Du hattest immer und überall sofort Freunde. Ich ging nicht zu dir, sondern wanderte ziellos zu den anderen Tischen. Nigel, weiß wie Papier, wie immer. Dostojewski in Baden-Baden. Sogar er verlor. Gilles und der Baron waren bereits vom Bakkarattisch aufgestanden. Tico zog die beiden Taschen aus seiner Hose, hielt die Spitzenzwischen Daumen und Zeigefingern. Der Doktor vor einem Blatt, vollgekritzelt mit Zahlen, ein unschlagbares System, aber auch er hatte alles verloren. Nur Dodo und Merel spielten noch. Wenn alle verlieren, meinte Tico, haben wir gleich kein Geld mehr für Benzin. Sag das Merel, entgegneten wir. Daß sie aufhören soll. Jetzt hat sie noch Jetons. Aber Merel wollte nicht aufhören. Sie wollte noch ganz viel Zeit damit zubringen, zu verlieren.

    Am Ende warst du die einzige, die gewann. Wir waren langsam zu dir hingeschlendert, ein verlorenes Grüppchen. Es war die Zeit vor den Kreditkarten, vor Geld aus dem Automaten.
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