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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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Zuckerrohr ernten in Kuba, Demonstrationen für Kambodscha, alles ehrenwert und tapfer, Polizeiattacken, Aktionen, und wir auf unserer Insel mit Slof und Banco, ein Haufen angespülter Deserteure aus der wirklichen Welt. Von dieser ganzen Erregung war in den Filmen nichts zumerken, vielleicht berührten sie mich deshalb so. In ihnen ging es nicht um die Gesellschaft, sondern einfach um Menschen. Das Wort Individuum bekomme ich nicht über die Lippen, aber darum ging es. Menschen, allein. Jemand in einer Bahn, die durch eine leere Straße fährt. Um Einsamkeit inmitten dieses ganzen Wirbels. 1964, 1965, ich weiß nicht mehr. Il deserto rosso . Monica Vitti mit einem Mann vor einem Metallzaun, eine Art Fabrik, etwas Gigantisches, und davor diese beiden, klein, nichts, zwei winzige Gestalten, man glaubt nicht einmal, daß sie einen Namen haben. In dem Moment faßtest du nach meiner Hand und grubst deine Nägel hinein. Das ist es, sagtest du, überhaupt gar nichts sind wir, was bilden wir uns bloß ein. Wir werden abgeraspelt, hinausgekehrt. Unsere Geschichten sind sich alle gleich, sie bedeuten nichts. Ich habe diesen Film jetzt auf DVD, alle ihre Filme, die ich nur finden kann. Die sehe ich mir abends an, wenn ich hier sitze. Und jedesmal, wenn diese Szene kommt, spüre ich deine Hand. Antonioni dehnt ihn aus, diesen Augenblick, die Fläche, die Mauer, die Metallkonstruktion, macht sie kleiner und kleiner, unerträglich. An jenem Abend hast du dich nicht an den Tisch gesetzt, auch das weiß ich noch. Ich hatte eine Bank, die sehr gut lief, und plötzlich schaute ich auf. Du standst hinter dem Wunderkind, und dein Blick war seltsam intensiv, du nicktest mir zu, und auf einmal machtest du eine Handbewegung,die den ganzen Kreis einschloß, zwei rasche Bewegungen rund herum, und dann schoß deine Hand zur Seite, als würdest du uns alle aus dem Fenster werfen.
    Danach gingst du.

5

    Nicht viel später fand unsere große Eskapade statt, eine Idee des Barons. Er hatte einen Onkel in der Gegend von Rouen, der sollte etwas unterschreiben, oder er mußte dort etwas abgeben, etwas in der Art. Und ob wir bei der Gelegenheit nicht mal in ein echtes Kasino gehen wollten, Deauville? Nicht alle konnten. Das Wunderkind hatte Wochenenddienst, André durfte nicht, weil Ollie ihn nicht ließ, zu zehnt quetschten wir uns in zwei Autos, in meinen alten Renault 16 und in den Buckelvolvo des Barons. Rutsch mal ein Stück, Don Anselmo. Du saßest im Volvo, neben Nigel. Komisch, sie alle bei Tageslicht zu sehen. Der Doktor wirkte wie verschimmelt. Belgien, graues Licht. In Saint Omer sollten wir einen Stopp einlegen, weil Nigel sich dort ein Labyrinth ansehen wollte. Ich habe mich in Kirchen noch nie besonders wohl gefühlt, und in katholischen schon gar nicht. Nigel und du wart bereits da. Ihr standet mitten in dem Labyrinth, das wie eingeheimnisvolles Spiel rund um den Altar auf dem Boden lag, ich habe noch eine Karte davon. An den Bewegungen seiner Hand sah ich, daß er dem Weg zu folgen und den Ausgang zu finden versuchte.
    Sein Gesicht war weiß wie immer, ich glaube wirklich, er kam nie an die frische Luft.
    Ich war zu weit weg, als daß ich hätte hören können, was er sagte, aber er, der sonst so Schweigsame, redete in einem fort. Hast du Brotkrümel dabei, Paula, rief Tico. Es schallte durch die Kirche, er erschrak selbst. Ich sah, wie du versuchtest, den Gängen des Labyrinths nachzugehen, aber du fandest nicht heraus. Leute, es wird früh dunkel. Das war der Baron. Er hatte diesen Umweg nicht machen wollen, war jedoch überstimmt worden. Alle hatten Lust, mal ein echtes Labyrinth zu sehen. Warum das hier Picardie heiße, wollte Dodo wissen. Hier gibt’s ja nichts Lustiges. Kein Schelm weit und breit. Es riecht hier noch immer nach Krieg.
    Nach zwei Kriegen, sagte Gilles. Hier liegen Millionen.

    Langsam schwand das Licht. Um die Bäume entlang der Straße waren weiße Bänder gemalt, die eines nach dem anderen aufleuchteten. Regen klatschte an die Scheiben, im Auto war es still geworden. Erst als wir am Kasino ankamen, wurden alle wach. Il barone: Leute, Krawatten umbinden. Jawohl, Monsieur.
    Foyer, Teppiche, Kronleuchter. Pässe, sich registrieren lassen. Ich sah an unserer Reihe entlang. Chaotischer Haufen. Wie es heute ist, weiß ich nicht, damals jedenfalls hatten Kasinos noch etwas Einschüchterndes. Dort herrscht eine geweihte Atmosphäre von Zufall und Schicksal, Sucht und Strafe. Und von Glück aus heiterem Himmel,
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