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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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sahen sich tief in die Augen. Aber gönnten sich kein Lächeln.
    »Hier?«, sagte der andere knapp. »Ich kenne ein paar stille Ecken auf einigen Hinterhöfen.«
    Matthias schüttelte den Kopf.
    »Dann im Tiergarten.«
    Matthias schüttelte wieder den Kopf.
    »Wie heißt du?«
    »Jochen. Und du?«
    »Gerd«, log Matthias. »Hör zu, ich will Zeit haben. Können wir zu dir?«
    Jochen nickte und setzte sich in Bewegung.
    Während des zehnminütigen Weges durch die Stadt beobachtete Matthias Jochens Gang und seine Bewegungen. Er hielt sich leicht hinter ihm, so als gehörten sie nicht zusammen. Die Jeans, die Jochen trug, war für Matthias’ Geschmack viel zu weit, aber das war jetzt egal. Matthias gab sich ganz seinen Fantasien hin, stellte sich vor, wie es sein würde, wenn der wesentlich Jüngere nackt vor ihm stand, und überlegte, ob dieser Junge, der noch einen ziemlich unbedarften Eindruck machte, auch all das tun würde, was Matthias von ihm verlangen wollte.
    Bis zu Jochens Wohnung sprachen sie kein Wort.

5
    5
    Jochen wohnte in einem sanierten Altbau im Hinterhof, zwei Treppen links. Er klickte die Tür, die noch nicht einmal ein Sicherheitsschloss hatte, mit einem riesigen Schlüssel auf, was auch mit einem simplen Schraubenzieher oder einem Grillspieß möglich gewesen wäre. Eine Campingseele, dachte Matthias. Wahrscheinlich besitzt er so gut wie nichts, ist arm wie eine Kirchenmaus und hat darum auch nicht die Sorge, dass jemand bei ihm einbrechen könnte.
    Der Flur war wahrhaftig so karg, wie Matthias es erwartet hatte. Anstelle einer Garderobe ein paar flüchtig und ungleichmäßig in den Putz gehauene Nägel, ein Schuhschrank, der vermutlich für allen möglichen Krempel, bloß nicht für Schuhe benutzt wurde, und ein Fahrrad. Schon ziemlich in die Jahre gekommen und flüchtig mit weißer Lackfarbe angestrichen.
    Nicht einmal einen Spiegel gab es im Flur.
    »Ich wohne hier noch nicht lange«, sagte Jochen mit leiser Stimme, »drei Wochen vielleicht.«
    Alle drei Türen der winzigen Wohnung standen offen. Matthias warf einen Blick in die enge, schmale Küche. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle, auf dem Herd eine benutzte Pfanne und darin zwei kleinere Töpfe. Matthias fand es ekelhaft.
    Über dem Kühlschrank tickte eine alte Bahnhofsuhr. Mit großer Wahrscheinlichkeit Jochens einziger und ganzer Stolz.
    Matthias hatte genug gesehen und folgte Jochen ins Wohn- und Schlafzimmer. Der Raum hatte den Charme einer Ausnüchterungszelle. Keine Bilder an den Wänden, nirgends ein bisschen Farbe oder eine Pflanze. Ein grauer Teppichboden ohne den kleinsten Fleck, ein schlichtes, eisernes Bettgestell mit einer schwarzen, breiten Matratze und ein überdimensionaler Tisch mit drei Computern und einem Laptop. Außerdem wüste Papier- und Bücherberge.
    »Was machst du so?«, fragte Matthias.
    »Ich studiere Informatik.«
    Also ein Kopfmensch. Diese Sorte schätzte Matthias gar nicht. Sie hatte Probleme, sich gehen zu lassen und für eine Weile Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszuknipsen. Aber er musste jetzt seine Neugier unterdrücken, denn wenn er noch mehr über seine Zufallsbekanntschaft erfuhr, verging ihm die Lust. Vielleicht war es schon zu viel gewesen, ihn nach seinem Namen zu fragen. Warum er das heute getan hatte, war ihm nicht klar. Er war einfach nicht ganz bei der Sache, aber das war ja an einem Tag wie diesem auch kein Wunder.
    Jochen holte zwei Bierflaschen aus der Küche und öffnete sie mit seinem Feuerzeug. Beide tranken schweigend.
    Entscheidend war, wer jetzt den Anfang machte, denn derjenige signalisierte, dass er bereit war, sich dem anderen zu unterwerfen und die Spielregeln zu akzeptieren. Matthias wartete.
    Jochen ging zum Fenster und schloss die anthrazitfarbenen Vorhänge. Dann setzte er sich aufs Bett.
    Bei jedem Schluck Bier taxierte Jochen seinen fremden Gast, als versuchte er herauszufinden, wer er war. Der Mann war älter, und er hatte Geld. So viel war klar. Und er hatte einen spöttischen Zug um den Mund, den Jochen interessant fand.
    Es war alles in Ordnung, und Jochen begann sich auszuziehen.

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    Loni Maier fummelte kopfschüttelnd die Post aus dem engen Schlitz und verletzte sich dabei den Mittelfinger, sodass er blutete. Seit Tagen war der Briefkasten nicht mehr geleert worden, und sie hatte keinen Schlüssel. Das meiste war Reklame, dieser junge Student hatte noch nicht einmal einen Bitte-keine-Werbung-einwerfen-Aufkleber. Sie nahm sich vor, unbedingt
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