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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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Eins-Eins-Null.
    Innerhalb von zehn Minuten war der Streifenwagen da.

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    Erst nach dem fünften Läuten begriff Susanne Knauer, dass das Telefon klingelte. Der Apparat stand neben ihrem Bett auf dem Boden, und noch im Liegen riss sie den Hörer von der Gabel. Dabei fiel ihr Blick auf den Radiowecker. Zwanzig nach zehn. Eigentlich eine zivile Zeit, aber es war Sonntag, der einzige Tag in der Woche, an dem sie wirklich ausschlafen konnte, und es kam ihr vor, als wäre es gerade mitten in der Nacht.
    »Ja?«, stöhnte sie.
    »Ich bin’s, Ben. Tut mir leid, dass ich dich wecke, aber es gibt Arbeit. Mord in Mitte. Ich hol dich ab. In zehn Minuten unten vor der Tür?«
    »Nein«, knurrte sie. »Lass mich in Ruhe!«
    »Okay. Dann bis gleich.« Er legte auf.
    Susanne jaulte wie ein verwundeter Hund, sprang auf und rannte ins Bad.
    Neun Minuten später kritzelte sie ihrer Tochter eine kurze Nachricht auf einen Zettel: Sorry, musste los wegen Mord, im Kühlschrank ist noch Suppe, hoffentlich bis bald. S., ließ ihn auf dem Küchentisch liegen und stürzte los. Sie hatte sich schon seit Jahren abgewöhnt, mit »Mama« zu unterschreiben, denn sie konnte sich nicht erinnern, wann ihre Tochter sie das letzte Mal so angesprochen hatte. Meistens war sie »Ej« oder »Hallo« oder »Du da«, nur wenn Melanie ausgesprochen gut gelaunt war, und das kam äußerst selten vor, wurde sie von ihr »Suse« genannt. Susanne bildete sich ein, dass es liebevoll klang, und darum war sie immer glücklich, wenn Melanie die Kurzform ihres Namens in den Mund nahm.
    Vielleicht würde ihre Tochter den Zettel auch gar nicht finden, weil sie höchstwahrscheinlich bis um zwei schlief, dann für eine halbe Stunde im Bad verschwand, um anschließend wieder ins Bett zu steigen und mit endlosen Telefonaten zu beginnen. So würde sie eventuell gar nicht merken, dass ihre Mutter nicht da war. In diesem Fall war es gut, aber grundsätzlich fand Susanne die momentane Situation unerträglich. Die Wohnung war nicht groß, dennoch schaffte es Melanie, ihrer Mutter stunden- oder tagelang aus dem Weg zu gehen, als wären sie tief zerstritten oder einer von ihnen beiden hätte mindestens die Schweinegrippe, wenn nicht gar die Pest.
    Während sie die Treppe hinunterraste, dachte sie noch kurz darüber nach, aber als sie Sekunden später zu ihrem Assistenten Ben in den Dienstwagen stieg, rückten die Schwierigkeiten mit Melanie in den Hintergrund.
    Jochen Umlauf war seit über einer Woche tot. Die Spurensicherung war bereits an der Arbeit, ein Polizeifotograf fotografierte die Leiche aus allen Blickwinkeln, Ben machte sich Notizen, und Susanne selbst stand konzentriert und selbstversunken vor dem Toten und versuchte sich jedes Detail so genau wie möglich einzuprägen. Den ersten Eindruck von einem Mordopfer wollte sie immer parat haben, in ihrer Erinnerung verfügbar wie eine Fotografie, die man jederzeit aus der Tasche ziehen konnte.
    Das nackte Opfer war mit haushaltsüblicher dicker Schnur, die normalerweise zum Verschnüren von Paketen gebraucht wurde, an Händen und Füßen ans Bett gefesselt, Arme und Beine gespreizt. Sein Mund stand weit offen, wie zu einem letzten Schrei.
    Mammamia, dachte Susanne, was für ein schrecklicher Tod. Eine obszöne Szene, aber gleichzeitig auch so erschreckend banal und fantasielos. In unzähligen Filmen hatte sie schon ans Bett gefesselte Mordopfer gesehen. Auf Originalität legte dieser Mörder offensichtlich keinen Wert.
    Ben trat neben sie und las vor, was er sich bisher notiert hatte. »Der Tote ist Jochen Umlauf, zweiundzwanzig Jahre alt, geboren in Stuttgart. Informatikstudent an der Technischen Universität, fünftes Semester. Ist aber erst seit einem halben Jahr in Berlin. Hat bis vor drei Wochen in einer WG in Prenzelberg gewohnt, dann ist er hier in diese Wohnung gezogen. Brieftasche, Papiere, etwas Geld – alles da. Ein Raubmord war es also wahrscheinlich nicht.«
    »Ich kenne auch keine Raubmörder, die ihre Opfer nackt ans Bett fesseln«, bemerkte Susanne. »Sie hauen ihnen eins über die Rübe und fertig.«
    »Hast ja recht«, meinte Ben leicht genervt.
    »Bitte zieh los und beginn schon mal mit dem ganzen Befragungsmarathon. Nachbarn, Bekannte, Kommilitonen, Profs. Was war er für ein Typ, was hatte er für Gewohnheiten? Was war besonders an ihm? Wie verbrachte er seine Freizeit? Hatte er eine Freundin? Einen Freund? Ist ’ne Menge Holz, ich weiß, also verlieren wir keine Zeit. Ich kümmere mich um die
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