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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel
Autoren: Kenneth Oppel
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dem Segel nach Dämmer. »Wenn er in jemand reinkracht, kriegen wir alle Ärger.«
    »Ich werde mich von meiner besten Seite zeigen«, sagte Dämmer. Er hasste Jibs Sticheleien und hoffte nur, dass das nicht zu deutlich zu merken war.
    »Du hast bloß Angst, dass er dich schlägt«, sagte Sylph zu Jib.
    Jib schnaubte.
    »Dämmer ist der einzige Neugeborene, der einen Schwärmer gefangen hat«, erinnerte Sylph ihn.
    Dämmer blickte seine Schwester liebevoll an. Wenn sie mit den anderen Neugeborenen zusammen waren, stand sie auf verblüffende Art zu ihm. Aber wenn sie beide alleine waren, benahm sie sich keineswegs so freundlich – er allerdings auch nicht.
    »Also, kann es jetzt losgehen?«, fragte Sylph ungeduldig.
    Sylph war laut. Sie hatte eine starke Stimme und neigte dazu, zu schreien. Ihre Mutter sagte, Sylph sei schon schreiend geboren worden und habe seitdem nicht damit aufgehört. Ihre Eltern meinten immer, sie solle leiser sein, und sie hasste das.
    Auch Dämmer hätte sie manchmal gerne etwas gebremst, doch ihr Lachen liebte er.
    Wenn Sylph lachte, lachte sie mit ihrem ganzen Körper. Einfach nur mit dem Mund zu lachen war ihr nicht genug. Ihr ganzer Körper zuckte und ruckte, und sie warf sich hin und her, bis sie schließlich völlig ermattet auf dem Ast lag und alle viere von sich streckte. Es machte Spaß, sich das anzusehen.
    »Ich bin dabei«, sagt Jib. »Auf geht’s.«
    Die vier stellten sich nebeneinander am Rand des Oberen Holms auf.
    »Du hast keine Chance«, flüsterte Sylph Dämmer zu.
    »Gegen Jib?«, fragte er flüsternd zurück.
    »Gegen mich«, sagte sie. Und mit ihrer normalen Stimme schrie sie: »Auf die Plätze, fertig, los!«
    Dämmer warf sich vom Ast, entfaltete sich und innerhalb von Sekunden war er den anderen schon voraus. Seine haarlosen Segel durchschnitten unbehindert die Luft. Aufgrund seiner Geschwindigkeit war es ihm gelungen, einen Schwärmer zu fangen, das schnellste aller Insekten. Doch im Allgemeinen war Sylph eine viel bessere Jägerin. Es hatte nur wenige Tage gegeben, an denen er mehr Beute gemacht hatte als sie. Und so hatte Dämmer wenig Hoffnung, sie zu schlagen. Er wollte sich jetzt nur nicht total blamieren.
    Er entdeckte eine Schnepfenfliege und ließ einen Schwall schnalzender Jagdgeräusche los. Das zurückkehrende Echo sagte ihm alles, was er wissen musste: den Abstand von der Fliege, ihre Richtung und ihre Geschwindigkeit. Dämmer verstellte ein Segel, schlug mit dem linken Bein aus und ging scharf in Schräglage, um mit der Flugbahn seiner Beute zusammenzutreffen. Dann stieß er etwas Luft aus, stürzte sich auf den kegelförmigen, schwarzgelben Körper der Fliege und saugte sie sich in den Mund mit Flügeln und allem.
    Es blieb ihm kaum Zeit, ihren angenehm säuerlichen Geschmack zu genießen, bevor er wenden musste, um den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung auszuweichen. Die Sonne ließ treibenden Samen, Staubkörnchen und unzählige Insekten, die durch die Luft flitzten, aufleuchten.
    Es war wichtig, sich jeweils nur auf eine Beute zu konzentrieren und sich nicht von der ganzen Auswahl ablenken zu lassen. Ein paar Mal war er zu ehrgeizig und verfehlte seine Beute, weil er über das Ziel hinausschoss. Langsamer , befahl er sich. Dann fing er ein paar weitere Insekten. Unter ihm, im eigentlichen Jagdrevier, glitten Hunderte von Chiroptern mit ihrem dunklen Fell zwischen den riesigen Mammutbäumen hin und her. Gleich würde er mitten unter ihnen sein.
    Dann sichtete er eine blaue Segellibelle, bombardierte sie mit Schnalzgeräuschen und ging zum Angriff über. Das Beugen eines Fingers, um das Segel anzuwinkeln, und schon schlugen die durchscheinenden Doppelflügel der würzigen Libelle gegen seine Zähne, während er zubiss und schluckte.
    »Pass auf, wo du hinsegelst, Neugeborener!«, schrie jemand hinter ihm her.
    Dämmer sauste durch die Menge und gab sich die größte Mühe, niemandem in die Quere zu kommen.
    »Langsamer!«, bellte einer seiner älteren Brüder. Es war entweder Diabolo oder Nordling, Dämmer verwechselte sie immer. »Du bringst noch mal jemanden um!«
    »Tut mir leid!«, rief Dämmer zurück und Augenblicke später blieb eine Langhornmotte zwischen seinen Kiefern hängen.
    »He, das war mein Essen!«
    Dämmer schluckte die eklige Motte, blickte verlegen zurück und sah noch einen weiteren Chiropter, der ihn wütend anfunkelte.
    »Sind wir verwandt?«, fragte er.
    »Unglücklicherweise ja«, sagte der Chiropter.
    Dämmer wusste
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