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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel
Autoren: Kenneth Oppel
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bereit?«
    »Ich kann mich nicht mehr an all das erinnern, was du mir gesagt hast«, sagte Dämmer voller Panik.
    »Das spielt keine Rolle.«
    »Sag’s mir noch mal, bitte!«
    Sein Vater drückte ihn sanft an sich, dann stieß er ihn vom Ast.
    Dämmer stieß einen Schrei aus, sowohl vor Überraschung als auch vor Schreck, drehte sich und wollte sich festklammern, egal, an was. Aber der Ast war schon außer Reichweite, und er fiel, nun mit dem Kopf voran. Wind verfing sich in seinen Ohren. Zweige schnellten an ihm vorbei. Die Welt unter ihm wuchs ihm entgegen. Er zitterte am ganzen Körper und sein Magen wollte sich umdrehen. Instinktiv streckte er die Arme aus, stieß mit den Beinen nach unten und breitete seine Segel weit aus.
    »Genau! Gut!«, schrie Ikaron, plötzlich neben ihm, und breitete nun auch seine pelzigen Segel aus.
    Merkwürdigerweise empfand Dämmer den überwältigenden Drang zu flattern.
    »Hör auf damit!«, rief sein Vater. »Du bist kein Vogel! Streck sie aus! Weiter! So weit es geht! Genau so! Jetzt halt sie gestreckt! Du gleitest jetzt!«
    Luft strömte um Dämmers Segel und füllte sie. Kopf und Schultern hoben sich, als er aus dem Sturzflug auftauchte. Er atmete stoßweise und fühlte sich, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Er segelte von dem Mammutbaum weg, seinem Zuhause, über die große Lichtung auf die gewaltigen Bäume auf der anderen Seite zu. Motten und Fliegen wirbelten an ihm vorbei.
    Er segelte zu schnell, viel zu schräg nach unten. Jedes Mal, wenn er die anderen Chiropter hatte gleiten sehen, hatten sie sich immer so gelassen bewegt und so gut wie keine Höhe verloren. Er aber hatte fast keine Kontrolle über das Ganze.
    »Langsamer!«, hörte er seinen Vater rufen.
    »Wie?«, schrie er.
    »Hast du die Segel ganz ausgebreitet?«
    Dämmer streckte die Segel so weit aus, wie er konnte, und wurde ein bisschen langsamer, doch er fiel immer noch zu schnell. Voller Schrecken bemerkte er, wie er sich den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung näherte.
    »Langsamer, Dämmer!«, schrie sein Vater noch einmal.
    »Ich versuch’s ja!«
    »Wir drehen jetzt um!«, rief Ikaron. »Neige dich einfach ein bisschen nach rechts. Benutze deine Beine ebenso wie deine Finger und Arme. Gut! Etwas mehr. Halt die Segel straff! Falte sie nicht zusammen! Na also!«
    Dämmer machte eine schnelle, ruckartige Wendung, taumelte etwas, und der Wald schwankte, als Dämmer sich zurück auf ihren Mammutbaum ausrichtete. Bei seinem Anblick fühlte er sich besser. Weiter unten konnte er die vertrauten Äste ihrer Nester und Jagdzweige ausmachen. Immer wieder durchkreuzten die anmutigen Umrisse von Chiroptern die Lichtung auf der Jagd nach Insekten. Er streckte sich und empfand ein bisschen den Kitzel des Erfolgs.
    »Wir landen jetzt«, sagte Ikaron und schob sich vor ihn. »Du segelst hinterher und machst genau das, was ich mache.«
    Dämmer versuchte, der Gleitbahn seines Vaters zu folgen, doch er verlor zu schnell an Höhe.
    »Papa!«, rief er, als er tiefer als sein Vater sank.
    Ikaron blickte zurück und verstellte seine Segel zum Abtauchen.
    »Halt deine Segel flach, Dämmer!«
    Er hielt seine Segel flach, doch das schien gar nichts zu nützen. Den Blick auf seinen Vater gerichtet, wurde ihm klar, dass der einen viel tieferen Landungsanflug machte als sonst.
    »Wenn du fast auf dem Ast bist, stell die Segel auf!«, schrie Ikaron zu ihm zurück. »Winkel sie ab und lass alle Luft raus, dann hältst du an. Auf geht’s!«
    Er beobachtete aufmerksam, wie sich sein Vater einem angenehm breiten Ast näherte, der weit in die Lichtung hinausragte. Ikaron pendelte sich mühelos ein, stellte seine Segel senkrecht auf und landete auf den hinteren Krallen. Dann legte er die Segel zusammen und ließ sich auf allen vieren nieder, bevor er herumwirbelte, um Dämmer zu beobachten.
    »Langsam jetzt!«, stieß er aus. »So langsam, wie du kannst!«
    Dämmer sah den Ast auf sich zuschwanken und wusste, dass er zu schnell und zu steil hereinkam.
    »Flacher werden! Flacher!«, schrie Ikaron.
    Und wieder wurde das Bedürfnis zu flattern übermächtig und Dämmer durchschnitt die Luft mit den Segeln.
    »Nein!«, schrie Ikaron. »Das bringt nichts. Hör auf damit! Stell die Segel auf!«
    Dämmer stellte seine Segel auf und bremste so stark ab, dass er das Gefühl hatte, nach hinten gezogen zu werden. Ein scharfer Schmerz schoss ihm durch Arme und Schultern. Noch in der Luft kam er zum Stillstand und fiel schnell auf den
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