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Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)

Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)

Titel: Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Peter Stamm
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jungen Burschen, der kaum wagte, von seinem Blatt hochzuschauen, einem kahlköpfigen dicken Mann um die fünfzig, der während der Arbeit die Zunge zwischen die Lippen klemmte, einem älteren, der die Augen erschreckt aufgerissen hatte, als sei er dem Tod begegnet. Die hängen wir nächste Woche im Foyer auf, sagte Jill, als Werbung für deine Kurse.
    Hubert verbrachte immer mehr Zeit im Club. Jill sah von ihrem Fenster aus, wie er sich mit den Gästen unterhielt, mit einer Gruppe von Jugendlichen in Richtung des Fußballplatzes verschwand. Abends kam er in ihr Büro, um sie abzuholen.
    Willst du den Wagen nehmen?, sagte sie. Ich muss heute Abend Theater spielen.
    Es war dasselbe Stück, in dem Hubert sie schon einmal gesehen hatte. Er sagte, er werde bleiben und es sich noch einmal anschauen, vielleicht entdecke er dann die versteckten Qualitäten des Stücks. Sie aßen zusammen auf der Terrasse, dann begleitete er sie in die winzige Garderobe, die neben dem Theatersaal eingerichtet worden war. Die Kostüme hingen im Fundus, einem fensterlosen Nebenraum, der vollgestopft war mit Kulissen, Kleiderständern und Requisiten, die für die verschiedenen Inszenierungen gebraucht wurden. In der Garderobe war ein großes Gedränge, aber niemand schien sich daran zu stören, dass Hubert da war. Jill liebte die Atmosphäre vor den Aufführungen, ihre Kolleginnen und Kollegen waren aufgeregt, wünschten sich Glück und spuckten sich andeutungsweise über die Schultern.
    Hubert stand während der ganzen Vorstellung hinter den Kulissen und schaute zu. Wenn Jill einen Abgang hatte, blieb sie neben ihm stehen, so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Er flüsterte etwas, aber sie legte ihm die Hand auf den Mund. Das Publikum lachte laut auf, und Jill musste wieder hinaus und kriegte den Nachttopf über das Kleid gekippt. Beim Schlussapplaus zerrten die Schauspieler Hubert mit auf die Bühne, obwohl er nichts mit der Vorstellung zu tun hatte, und er verbeugte sich lachend mit ihnen.
    Die meisten hatten ihre Kostüme angelassen und waren an die Bar gegangen, um mit den Gästen zu feiern. Jill und Hubert waren die Letzten in der Garderobe. Jill hatte das nasse Dirndl zum Trocknen aufgehängt. In der altertümlichen Unterwäsche setzte sie sich vor einen der zwei Spiegel, ihr Gesicht glänzte. Hubert war im Fundus verschwunden und Jill schminkte sich ab. Plötzlich stand er hinter ihr. Er trug Lederhosen und ein kariertes Hemd, fast dasselbe Kostüm wie der Knecht, den Jill in dem Stück zum Mann genommen hatte.
    Fesch siehst du aus, sagte sie lachend und stand auf, du solltest öfter Lederhosen tragen.
    Hubert machte einen Schritt auf sie zu und nahm sie in die Arme und küsste sie auf den Mund.
    Pfui Toni!, zitierte sie mit gespielter Empörung ihre Rolle, du könntest dir nach dem Melken wenigstens die Hände waschen.
    Tonis Antwort war bei jeder Aufführung ein sicherer Lacher, aber Hubert sagte nichts und küsste Jill wieder, diesmal noch länger. Dabei hielt er sie so fest, dass er ihr fast weh tat. Sie erwiderte seinen Kuss, und als wäre das eine Einladung, fing er hastig an, sie auszuziehen. Er küsste ihren Hals und ihre Kehle, und als sie beide nur noch im Unterhemd dastanden, drehte er sie um und drang in sie ein. Nicht so schnell, sagte Jill, du tust mir weh. Aber Hubert schien sie gar nicht zu hören. Im Spiegel sah sie kurz seine Augen, sein Blick wirkte glasig wie der eines Betrunkenen.
    Sachte, flüsterte sie, ich habe schon lange mit keinem Mann mehr geschlafen.
    Während ihrer ersten Zeit im Club hatte sie die eine oder andere Affäre mit einem Gast gehabt, eine Saison lang war sie mit dem Küchenchef zusammen. Aber der hatte sich in einen Club in der Südtürkei versetzen lassen und sie hatte nicht mitgehen wollen. Mit der Zeit hatte sie immer weniger Lust gehabt, sich auf einen Mann einzulassen, und hatte sich damit begnügt, ein wenig zu flirten.
    Hubert bewegte sich immer schneller, dann stöhnte er laut, zuckte ein paar Mal zusammen und ließ sich auf sie sinken. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf und trat einen Schritt zurück. Jill spürte, wie sein Sperma an ihrem Bein herunterlief.
    Komm, sagte sie und nahm ihn bei der Hand.
    Im Theatersaal war es dunkel, nur die grünen Notausgangzeichen gaben ein wenig Licht. Sie legten sich in das Bett, das am Rand der Bühne stand.
    Kommt hier niemand rein?, flüsterte Hubert.
    Keine Angst, sagte Jill, erst morgen früh die Putzleute. Sie
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