Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht der Vampire

Nacht der Vampire

Titel: Nacht der Vampire
Autoren: Raymond Giles
Vom Netzwerk:
den sie durchquerten, mit der Bibliothek auf der einen Seite und dem Ausgang zur Hauptstraße auf der anderen. Er sah alles so deutlich wie am hellichten Tag.
    »Komm zurück!«
    Er schleppte Roxanne hinter sich her durch den Park. Verschwommen begriff er, daß ihn ein Alptraum gefangen hielt. Als Psychiater betrachtete er Träume gewöhnlich als Freunde und nicht als Feinde. Aber seine kalte Angst spottete jeder vernünftigen Überlegung. Er fühlte sich in den Schlund eines mächtigen Untiers gezogen. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn, und die üble Ausdünstung seiner Furcht schnürte ihm die Luft ab.
    Weshalb nur diese Furcht? Zwar hatte weder er noch Roxanne jemals den Wunsch gehabt, nach Sanscoeurville zurückzukehren, aber daß es dort etwas zum Fürchten geben könnte, hatte er nie gewußt oder sich nie eingestanden. Oder hatte er es in seinem tiefsten Inneren doch geahnt? Hatte er vielleicht in all den Jahren, seit er Sanscoeurville verlassen hatte, diesen Ruf erwartet? Durch sein Gehirn spukten die Worte, die er vor dreizehn Jahren gesprochen hatte:
    »Der Teufel kennt kein Pardon!«
    Die Erinnerung löste eiskaltes Entsetzen in ihm aus. Aber die Schwüre von einst konnten kein Gewicht mehr haben. Sie waren bei einem makabren Spiel gesprochen worden. Zugegeben, es war ein kindisches, verwerfliches und schmutziges Spiel gewesen, aber eben doch nur ein Spiel. Seit Jahren hatte er nicht mehr an diese Schwüre gedacht. Und jetzt sollte er dafür bezahlen? Lächerlich. Oder sollte das Entsetzliche ...?
    »Komm zurück!«
    Wie hypnotisiert ging er weiter. Wieder hatte er das Gefühl, von einem nächtlichen Ungeheuer verschlungen zu werden. Die Straße war eine Asphaltzunge, die Häuser links, und rechts die Zähne. Er und Roxanne würden zermalmt und verschluckt werden. Sie mußten für alle Zeiten in einer unvorstellbaren Hölle verschwinden. Und er war unfähig, diesem Schicksal auszuweichen. Er mußte blindlings diesem Ruf folgen.
    »Komm! Komm!«
    Sie waren am Ende des bescheidenen Geschäftsviertels angelangt. Vor ihnen gähnte schwarze Leere. Nie zuvor war eine Nacht so undurchdringlich gewesen. Roxanne grub Duffy die Nägel in die Hand und bettelte weinend: »Geh nicht weiter! Geh nicht weiter! Bitte, Duffy, kehren wir um!«
    »Unmöglich.«
    »Doch. Wir hätten gar nicht erst nach Sanscoeurville fahren dürfen! Wir müssen abreisen und dürfen niemals wiederkommen!«
    »Aber sie rufen mich, Roxanne —«, ächzte er.
    »Ich weiß es! Hör nicht hin, Duffy! Verschließe deine Augen, deine Gedanken!«
    »Ich kann nicht! Ich muß weiter . . .«
    Und dann sahen sie, wohin es ihn zog.
    Er blickte nach Süden und sah Sanscoeur in dem schwarzen Schlund liegen. Er mußte über die Stadt und den Wald und über den Teich von Sanscoeur blicken, und dennoch sah er das Haus so deutlich, als stünde er dicht davor. Er sah die dicken Säulen und die mächtige Flügeltür, er sah jeden Ziegel, jeden Stein, die hohen Türmchen und Giebel und die unbeleuchteten Fenster.
    Sanscoeur.
    Wie ein Ungeheuer erhob es sich aus dem Schoß der Erde, eine scheußliche Ausgeburt, die sich an Blut und Seele mästen wollte. Wen er nach Sanscoeur ging, war er bestimmt verloren.
    Aber er tat, was er tun mußte.
    »Nein!«  schrie Roxanne bei seinem ersten Schritt. Sie riß so heftig an seiner Hand, daß er herumgedreht wurde und beinahe in die Knie ging.
    Er betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Erst jetzt ging ihm die tiefere Bedeutung ihres Aussehens auf. Ihr dunkles Haar erinnerte ihn an einen dichten Pelz. Ihre Pupillen schimmerten rötlich, und ihre schrägen Augenbrauen wuchsen in der Mitte fast zusammen. Mittelfinger und Ringfinger ihrer Hände waren gleich lang, und ihre Nägel, die sich in sein Fleisch gruben, dick und blutrot. In ihrem zum Protest geöffneten roten Mund schimmerten scharfe Zähne.
    Entsetzt und ungläubig starrte er sie an. Er hatte gedacht, daß das Grauen vor ihm läge, und nicht hinter ihm. Aber was er hier sah, war bedeutend schlimmer als alles andere. Das war Roxanne, die Frau, die er geliebt und geheiratet hatte. Jetzt begriff er, daß sie gar keine Frau war, sondern ein satanisches Wesen, das kein Recht hatte, überhaupt auf Erden zu existieren.
    Wieso habe ich diese Zusammenhänge nicht früher erkannt? dachte er verzweifelt. Roxanne war immerhin der letzte Sproß der Sanscoeurs.
     
    »Komm!«
    Wie ein überraschender Nadelstich bohrte sich das Wort in ihr Gehirn. Es war ohne jeden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher