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Nacht der Vampire

Nacht der Vampire

Titel: Nacht der Vampire
Autoren: Raymond Giles
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Dreizehnte bückte sich und hob den schmalen, nackten Fuß auf das Fensterbrett.
    Die purpurne Gestalt schrumpfte zusammen und beugte sich vor, als wollte sie aus dem Fenster stürzen. Gleichzeitig hoben sich die seitlichen Falten des Mantels wie mächtige Schwingen. Sie falteten und spreizten sich wie Flügel. Dabei wurde der Rumpf immer kleiner. Dann waren die Schwingen geschlossen, der Mantel fiel ab, und im selben Augenblick stürzte ein dunkles Etwas aus dem Fenster.
    Im freien Fall breitete es Flügel aus dünner Haut aus, die sich zwischen dem pelzigen Leib und den Armen und Fingern spannten. Sie blähten sich in der Luft, während das Wesen aus dem höchsten Fenster des Hauses fiel. Im Sturzflug schoß es zur Erde und streifte beinahe den Boden. Dann schwebte es nach oben, segelte über die Baumkronen hinweg, kreiste durch die Nacht und stieß dabei einen pfeifenden Triumphschrei aus.
    Die anderen folgten. Auch sie stürzten sich aus dem Fenster, entfalteten die Schwingen, bis schließlich alle zwölf dem Dreizehnten gefolgt waren. Höher und immer höher flogen sie, über den Turm hinweg und tief hinein ins Gefunkel der Sterne. Ihre schnarrenden Stimmen und ihr ersticktes, satanisches Gelächter zerrissen die Nacht.

2
    Blutwitterung.
    Frisch und voll und salzig setzte sie sich in ihrer Nase fest, zauberte ihr den Geschmack auf die Zunge und rief einen unstillbaren Durst hervor, bis ihre Kinnbacken knirschend nach einem Mahl verlangten, das warm und roh und unaussprechlich war.
    Roxanne stöhnte laut auf und rollte sich an die Bettkante. Sie vergrub die Finger im Kissen und biß fest in den Stoff. Dieses leidenschaftliche Verlangen stellte jedes andere Gefühl in den Schatten. Es war stürmischer als ihre Liebe zu Duffy. Nichts glich diesem wahnwitzigen Hunger, zu dem sie verdammt war.
    Er überfiel sie mindestens einmal im Monat und hielt manchmal eine volle Woche an. Zeitweise war er zu vage, um Hunger genannt zu werden. Dafür dauerte er dann um so länger und quälte sie wie ein ständiges heimliches Leiden. Sie hatte alles versucht, um sich davon zu kurieren — Alkohol, Sex, Psychotherapie, sogar Drogen, die Duffy ihr bewilligt hatte. Aber nichts hatte geholfen.
    Der Hunger hatte ihre Ehe untergraben.
    Sie wimmerte im Dunkeln. Halb hoffte sie, Duffy könnte es hören, halb fürchtete sie es. Er hatte ihr aufgetragen, ihn sofort zu wecken, wenn der Hunger sie nachts überfiel. Jetzt sehnte sie sich nach Hilfe, aber was konnte er für sie tun? Er würde ihr gut zureden und ihr ein Schlafmittel reichen und vergebens versuchen, sich die Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, die sich bei jeder Wiederholung dieser Szene vertiefte.
    Mit einem Ruck setzte sie sich auf.
    Himmel, wie sie Duffy haßte!
    Das stimmte natürlich nicht. Sie liebte ihn. Wenn ihr ein Leben außer dem eigenen etwas bedeutete, dann war es seines. Aber sie hatte ihn enttäuscht. Sie wußte, daß sie sein Leben zerstörte. Daher vermochte sie den Schlafenden jetzt anzustarren und minutenlang in grenzenlosen, bitteren Haß zu versinken.
    Seine Pyjamajacke stand offen. Ihr Blick blieb an seiner nackten Kehle haften. Roch sie etwa sein Blut? Ihre Kiefer zuckten beim Gedanken an warmes Fleisch, an ein klopfendes Herz und zarte Innenorgane . . . ehe er aufwachte, könnte sie . . .
    Sie wich weit von Duffy ab. Übelkeit überfiel sie, als sie sich bei ihren fürchterlichen Gedanken ertappte. Behutsam stand sie auf und ging zum Fenster. Ihre Knie zitterten. Draußen lagen die stillen Straßen Manhattans und der Mond —
    Rasch wandte sie sich vom Fenster ab. Ein Blick auf den Mond genügte, der sich hinter einer Wolke verschob, um ihren Hunger erneut aufflammen zu lassen. Sie flüchtete aus dem Zimmer.
    Im dunklen Flur roch sie die Katze. Himmel, wie sie die graue Perserkatze haßte. Die Katze haßte sie übrigens nicht weniger.
    Das war auch eine von Roxanne Sanscoeur Johnsons merkwürdigen Eigenschaften: ihr verblüffender Geruchssinn. Anfangs hatten ihr die Ärzte nicht geglaubt. Aber man hatte sie auf die Probe gestellt, und sie hatte jeden Beweis geliefert. Ohne die geringste Schwierigkeit konnte sie die verschiedenen Fleischsorten am Geruch unterscheiden, ebenso Süßwasser von Salzwasser und selbst mehrere Arten von Gras und Getreide. Zeitweise erkannte sie einen Menschen, der hinter ihr stand, an seinem unverwechselbaren Geruch. Und ob ein Mann oder eine Frau in ihrer Nähe war, roch sie fast immer.
    Jetzt roch sie die Angst der
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