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Nacht der Vampire

Nacht der Vampire

Titel: Nacht der Vampire
Autoren: Raymond Giles
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Jacobs brauchte erstaunlich lange mit den Schlüsseln.
    »Bestimmt verständigt er knapp fünfzig bis sechzig Bekannte von unserer Ankunft«, sagte Roxanne.
    »Hier sind sie!« Mr. Jacobs kam grinsend wie ein fetter Dämon zurück. Duffy nahm die Schlüssel entgegen, und sie gingen zum Wagen.
    Die Fahrt bis zum Haus war kurz. Selbst nach jahrelanger Abwesenheit fanden sie den Weg sofort. Der Boden senkte sich nach Süden zum Sanscoeur-See. Soweit sie sich entsann, lagen die meisten Häuser am Ostende des Sees. Das von ihnen gemietete Haus befand sich am westlichen Ende des Nordufers. Vermutlich waren sie dadurch ziemlich abgeschieden. Das war ihr nur recht, denn diese Ferien sollten dazu dienen, ihrer Ehe neue Impulse zu geben.
    Das Haus war viel größer, als sie erwartet hatte. Es stand über einer kleinen Bucht. Nirgends war Licht zu sehen. Selbst der alte Herrensitz Sanscoeur war unbeleuchtet. Nach ihrer Schätzung mußte Sanscoeur genau gegenüber am anderen Ufer liegen. Angestrengt starrte sie in die Finsternis und glaubte sogar, die Umrisse zu erkennen.
    Sie betraten das Haus und sahen sich zuerst einmal um. Roxanne war begeistert. Alle Voraussetzungen für eine ideale Wiederholung ihrer Flitterwochen waren gegeben. Sie ließ Wasser in die Wanne laufen und blieb genußvoll zehn Minuten im warmen Schaumbad sitzen. Zufrieden trocknete sie sich ab und schlüpfte in ein eigens für diesen Zweck gekauftes, durchsichtiges, kurzes Nachthemd.
    Barfuß ging sie in die Küche. Duffy hatte eine Flasche Whisky auf den Tisch gestellt. Angenehm überrascht bemerkte sie, daß der Kühlschrank sogar Eiswürfel enthielt. Sie goß zwei Gläser ein und trug eins davon zu Duffy, der sich mit den widerspenstigen Fensterläden plagte. Langsam trat sie vor die Tür. Seine Flüche über die sperrigen Fenster wurden leiser. Die Nacht war pechschwarz. Mehrere Bäume umsäumten das Haus, aber sie vermochte kaum die Stämme und Äste zu erkennen. Es gab auch einen kleinen, frisch gemähten Rasen vor dem Haus, den sie nicht sah, aber sie konnte den Duft des frisch geschnittenen Grases riechen.
    Noch ein anderer Geruch schwebte in der Luft, ganz schwach nur und schwer definierbar . . . ein tierischer Geruch ... Sie trank den Whisky und lauschte den Tautropfen, die von den Bäumen fielen. Im Haus hatte Duffy das Hämmern eingestellt. Kurz darauf hörte sie die Brause rauschen. Dann kam Duffy in einem blauen Pyjama durch die Tür.
    »Riechst du etwas, Duff?«
    »Frisch gemähtes Gras.«
    »Das auch, aber sonst?«
    »Den See vielleicht. Oder die letzten Abgase des Wagens. Gerüche halten bei diesem Wetter lange an.«
    Sie sprach nicht mehr davon. Sicher war es ein ländlicher Geruch, den sie früher gekannt, aber inzwischen längst vergessen hatte. Sie lehnte sich an Duffys Brust, trank einen Schluck und schmiegte sich wohlig in den Arm, den er um ihre Schulter gelegt hatte.
    »So ist es hübsch«, murmelte sie. »Keiner, der uns sieht, keine Patienten am Telefon, keine Wecker.«
    Er antwortete mit dem Kuß, auf den sie schon gewartet hatte. Sie erwiderte ihn innig. Dann ließ sie ihr Glas ins Gras fallen und schleuderte sein Glas weg. Schließlich konnte ihnen niemand zusehen, und sie wollten doch ihre zweiten Flitterwochen feiern .. .
    Der Geruch stieg ihr aufs neue stark und deutlich in die Nase. Ihr Haar knisterte. Unwillkürlich entwand sie sich Duffy. Es war eine rein animalische, instinktive Reaktion. Sie blähte die Nasenlöcher und unterdrückte nur mühsam das Knurren, das in ihrer Kehle aufstieg, als sie in die schwarzen Wipfel starrte.
    »Roxanne!« sagte Duffy verblüfft.
    Ein Schauer tropfte auf sie nieder, als hätten sich die Bäume geschüttelt.
    »Was ist dort oben, Duffy?«
    »Wie? Nichts. Gar nichts.«
    »Doch, Duffy, dort oben versteckt sich etwas!«
    Ungestüm packte er sie bei den Schultern, als hätte er Angst, sie könnte im nächsten Augenblick knurrend fortlaufen. Dann rauschte es leise in den Wipfeln. Das hätte sie beschwören können. Es klang, als entfalteten sich Flügel, ein Flattern und Gleiten, als würde sich ein riesiger Vogel oder eine Flugechse in die Luft schwingen.
    Der Geruch wurde schwächer und verschwand fast gänzlich. Allmählich löste sich ihre Spannung. Sie drehte sich wieder zu Duffy und drückte ihn fest an sich.
    »Hast du es nicht gehört?« fragte sie beklommen.
    »Was denn?« lachte er.
    »In den Baumkronen oben.«
    »Und ich habe dich immer für ein Mädchen vom Lande gehalten!
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