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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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wahrscheinlich von der letzten Nacht stammen. Ein paar braune Wollfäden an den Wurzeln in der Grotte. Da ist einer mit seinem Pullover hängen geblieben. Er kam von da hinten …» Der Beamte zeigte zum Ende der Absperrung. «Und er ist auch in der Richtung wieder abgehauen. Wir haben einen Suchhund angefordert. Der ist aber noch im Einsatz. Es wird noch eine Weile dauern.»
    «Gibt es in der ganzen Gegend nur einen Suchhund?», fragte Guerrini ungläubig.
    Der Kollege, ein junger Mann in Jeans mit dichten braunen Haaren und lustigen Augen, zuckte die Achseln und grinste.
    «Der zweite in Montalcino hat gerade geworfen. Und die Kollegen wollten keinen aus Siena anfordern, weil sie schon uns und Sie und den Pathologen anfordern mussten …» Er zwinkerte Guerrini zu.
    «Ist das wahr, Pucci?» Guerrini nahm die Schultern nach hinten und verschränkte die Arme über seiner Brust.
    Pucci nickte und machte sich ebenfalls ein wenig größer.
    «Der Hund ist hervorragend. Er wird in spätestens einer Stunde hier sein.» Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging zu der Toten zurück.
    «Wahrscheinlich ist der Hundeführer gerade beim Jagen. Er hat nämlich heute seinen freien Tag!», flüsterte der junge Kriminaltechniker und zwinkerte Guerrini zu.
    Der Commissario lächelte kaum merklich.
    «Was halten Sie denn von den Deutschen? Sie haben sie doch auch gesehen.»
    «Na ja. Wahrscheinlich meditieren die den ganzen Tag oder schlagen Trommeln. Es gibt jede Menge solcher Gruppen, das wissen Sie doch selbst, Commissario. Die Deutschen sind ganz wild darauf. Mir kamen sie wie ein Haufen verschreckter Wesen vor. Ist ja wohl ganz verständlich in so einer Situation.»
    Guerrini nickte grimmig.
    «Und wo sind sie jetzt?»
    «Oben, im Kloster.»
    «Na, dann mach ich mich mal auf den Weg.» Guerrini seufzte, wandte sich dann Pucci zu. «Ihr könnt die Tote jetzt nach Siena bringen.»

K atharina Sternheim wartete im Schatten der Veranda auf die Polizei. Die anderen hatte sie fortgeschickt, zur stillen Meditation oder zum Gedankenaustausch. Es blieb ihnen überlassen. Sie hatten den Vormittag bei der toten Carolin ausgeharrt, jetzt brauchten alle Ruhe. Später, am Abend, wollten sie sich zu einer Gruppensitzung treffen. Aber Katharina wusste nicht, wie sie diese Katastrophe verarbeiten sollte. Gefühle rauslassen? Trauer, Wut, Angst, Schreien, Heulen? Sie war sich plötzlich sicher, dass sie es nicht ertragen, die anderen nicht würde festhalten können. Und dazu kam diese seltsame Vision, die vor ihren geschlossenen Augen gewachsen war, als die Gruppe bei der Toten saß – ein Bild, das von den Rändern her entstand und sich Stück für Stück füllte, obwohl sie es nicht sehen wollte: eine Gestalt, die Carolin niederschlug, keine erkennbare Gestalt und doch eine, die zu dieser Gruppe gehörte, für die Katharina sich verantwortlich fühlte.
    Carolin hatte sich nicht umgebracht, das war sicher. Sie hatten es alle gesehen. Sie war auch nicht in diese Wurzelgrotte gekrochen, um dort zu sterben. So viel hatten sie verstanden, als die Polizisten auf die Schleifspuren hinwiesen. Lauerte da draußen eine Gefahr, die Katharina übersehen hatte? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Frauen allein auf einsame Spaziergänge zu schicken, um sie zu sich selbst zu führen. Vielleicht gab es auf dieser Erde keinen sicheren Ort mehr.
    Eine Katze drängte sich so heftig und unvermutet an ihre Beine, dass Katharina zusammenzuckte. Sie zuckte noch einmal zusammen, als ein dunkelblauer Wagen auf den Hof rollte und knapp vor der Veranda hielt. Das Knirschen der Reifen auf dem Kies drang in Katharinas Bewußtsein wie ein dumpfer Schmerz, und ihr fiel ein, dass sie noch nicht einmal die Verwalterin der Abbadia benachrichtigt hatte, geschweige denn Carolins Eltern.
    Unfähig aufzustehen, sah sie dem Mann entgegen, der jetzt aus dem Wagen stieg, kurz über sein Haar strich, sich zögernd umschaute und dann langsam die breiten Steinstufen zu ihr hinaufkam. Er war jünger als sie, höchstens Mitte vierzig. Sie überließ sich ganz einfach dem Eindruck dieses Mannes, der Schritt für Schritt auf sie zuging, als wollte er sie nicht erschrecken. Etwas Behutsames lag in seinen Bewegungen, er musterte sie mit wachsamen Augen.
    «Signora?»
    Auch seine Stimme war wachsam. Er zog den Dienstausweis aus seiner hinteren Hosentasche, klappte ihn vor ihr auf. Katharina nickte.
    «Angelo Guerrini, Commissario», sagte er leise.
    «Ist schon in Ordnung»,
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