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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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ärmlichen Küche einen Topf Minestrone auf dem Herd, eine fauchende Katze, in den angrenzenden winzigen Räumen ungemachte Betten, im ersten Stock vor allem Gerümpel und hinter einem Berg alter Matratzen Giuseppe Rana, der sich eingerollt hatte wie ein Igel. Den Kopf zwischen den Beinen, die Arme um die Knie geschlungen, hockte er in der dunkelsten Ecke und machte selbst dann seine Augen nicht auf, als zwei Polizisten die Matratzen wegzerrten. Wenn er die Augen nicht öffnete, gab es die Welt nicht. Alles, was da draußen passierte, gab es dann einfach nicht. So hatte er es immer gemacht, wenn er Angst hatte. Und Giuseppe Rana hatte Angst, hatte den Hund gesehen und die drei fremden Männer in schwarzen Uniformen, und er hatte die Autos gesehen, die auf den Hof zurasten, wusste, dass sie ihn suchten. Immer suchten alle ihn. Seine Mutter und sein Bruder auch. Und er konnte sich gut verstecken. Manchmal fanden sie ihn nicht, dann lachte er leise in seinem Versteck und kam sich mächtig vor. Er begriff nicht, warum diese Fremden ihn gefunden hatten. Das hier war sein sicherstes Versteck. Aber vielleicht träumte er nur, dass man ihn gefunden hatte.
    Deshalb machte er seine Augen auch nicht auf, als die Polizisten ihn aus seinem Winkel hervorzerrten. Er blieb zusammengerollt, umklammerte seine Knie so heftig, dass es den Carabinieri nicht gelang, ihn auf die Beine zu stellen. Und weil er ihre lauten Stimmen nicht hören wollte, begann er zu singen, wie er es immer tat, wenn er seine eigenen Gedanken nicht hören wollte oder die Stimmen der anderen. Wenn er sang, dann hörte er nichts außer dem Gesang, und das machte ihn glücklich und ruhig. Wenn er sang, konnte ihm nichts geschehen.
    So wurde er die schmale Treppe hinuntergetragen, gezerrt, geschleift. Er nahm den Geruch von Minestrone wahr, machte aber die Augen nicht auf, gab seine Knie nicht frei, hörte nur den Gesang und ganz fern Geräusche und Stimmen im Hintergrund. Er sah nicht, dass Maresciallo Pucci sich über ihn beugte, seine Stiefel betrachtete und seinen Pullover untersuchte. Er hörte auch nicht, dass Pucci sagte: «Er hat sich nicht einmal umgezogen. Die Stiefel sind noch voll Sand und sein Pullover hat ein Loch am Rücken. Die Sache ist ziemlich klar. Wir nehmen ihn mit!»
    Aber dann hörte Giuseppe etwas, das lauter als sein Gesang war, die Schreie seiner Mutter. Sie schrie zur Madonna und allen Heiligen. Und als er ganz vorsichtig seine Augen ein wenig öffnete, einen Spalt nur, damit er nicht zu viel sehen musste, sah er, dass die kleine alte Frau mit Fäusten auf die Polizisten einschlug. Da machte er die Augen schnell wieder zu und krümmte sich vor Angst noch mehr zusammen. Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung, aber er wusste nicht was. Nur dass es mit ihm zu tun hatte und vielleicht mit den merkwürdigen Träumen, die er in der letzten Nacht gehabt hatte.
    Als er in einem der blauen Autos weggebracht wurde, hörte er die Stimme seiner Mutter noch immer. Hörte sie bis zur Hauptstraße und auf der scheinbar endlosen Fahrt. Er musste ganz laut singen, um diese Stimme nicht mehr zu hören. So laut, dass Maresciallo Pucci sich die Ohren zuhielt.

« I ch koche Spaghetti! Wenn ich koche, kann ich nicht gleichzeitig mit dir deine Matheaufgaben machen, Sofia! Luca soll dir helfen! Luca!» Laura Gottberg strich mit dem Unterarm ihre Haare aus dem Gesicht und lauschte ihrer eigenen Stimme nach.
    Ich kreische rum wie Mama in ihren besten Zeiten, dachte sie. Es tut mir gut, verdammt gut!
    «Luca sitzt vor der Glotze! Er will mir nicht helfen!» Lauras Tochter stand in der Küchentür, das Mathematikheft in beiden Händen. «Ich kann das nicht, Mama. Wozu braucht man eigentlich Mathe?» Sie machte ein so fragend verzweifeltes Gesicht, dass Laura lachen musste.
    «Es ist überhaupt nicht komisch, Mama! Wir schreiben nächste Woche eine Schulaufgabe, und ich kapier nichts!»
    Laura nahm den Spaghettitopf von der Herdplatte und goss die Nudeln in ein großes Sieb.
    «Ich hab nicht über dich gelacht, Sofia», sagte sie und drehte ihr Gesicht zur Seite, um dem heißen Dampf auszuweichen. «Ich musste lachen, weil ich genau diese Frage vor vielen Jahren deinem Großvater gestellt habe. Da war ich ungefähr so alt wie du.»
    «Und? Was hat er gesagt?» Sofia knetete das Heft in ihren Händen.
    «Warte, lass mich nachdenken … Ich glaube, er hat gesagt, dass man Mathe seiner Meinung nach zu gar nichts gebrauchen kann, aber dass es das Gehirn
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