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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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es verdammt nah an die bewohnten Teile der Stadt herangekommen. Beim nächsten Mal könnte es übel werden, vor allem weil …«
    »Niemand weiß, wann das nächste Mal sein wird«, beendete ich den Satz für ihn, um im nächsten Moment aufzuspringen. »Ach du Kacke!«
    Ich riss das Bullaugenfenster vor uns auf und starrte auf die grauweißen Flocken, die dahinter in die Tiefe rieselten. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Ein Ziehen, das mir seltsam bekannt vorkam. Als wäre da ein pulsierendes Loch in meinem Herzen, das ausgefüllt werden wollte. Das Ziehen verwandelte sich in ein schmerzhaftes Reißen, je mehr von dem Zeug vom Himmel schneite.
    Ich biss mir auf die Lippe. Konnte es sein, dass … nein, das war absurd. Oder? Wie ferngesteuert schob sich meine Hand durch das Fenster hinaus in die Kälte. Behutsam fing ich eine der Flocken auf, um sie genauer zu betrachten. Ich keuchte auf, so plötzlich nahm die Intensität des Schmerzes in meiner Brust zu, und ich erkannte, dass es der Weiße Löwe war, der nach mir rief. Nein, der schrie, als drohe ihm Unheil in seinem Versteck tief unter den Fundamenten Eisenheims.
    Ich schüttelte den Kopf. Was hatte das zu bedeuten? Fast meinte ich, die scharfkantige Oberfläche des Steins unter meinen Fingerspitzen zu spüren. Dabei war es doch nur Asche. Eine winzige Flocke, die in meiner Hand zu Staub zerbröselte und vom Wind davongetragen wurde. Ascheregen über einer Stadt, in der es niemals regnete.
    Mein Vater, der sich schwerfällig aus seinem Sessel erhoben hatte, taumelte neben mich. »Irgendetwas läuft hier schief«, sagte er, fing ebenfalls eine der Ascheflocken auf und zerrieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Partikel rieselten zu Boden und bildeten einen Schmutzfilm auf dem dunkelschwarzen Flor des Teppichbodens.
    Ich umschlang meinen Oberkörper mit beiden Armen, weil ich das Gefühl hatte, sonst auseinanderzubrechen. »Ja«, keuchte ich. »Und zwar so was von schief.« Der Schmerz nahm mir den Atem.
    Entschlossenheit trat in den Blick meines Vaters. »Aber dir wird nichts passieren, Flora, das schwöre ich. Dieser Zeppelin bringt uns direkt zum Buckingham-Palast und dort wirst du die nächsten Wochen über bleiben. Dort kann dir nichts geschehen.«
    »Was?«, entfuhr es mir.
    »Der Palasthügel ist der sicherste Punkt der Stadt, er ist am weitesten vom Nichts entfernt«, erklärte der Schattenfürst mit einer Bestimmtheit, die keine Widerrede zuließ. »Bis auf Weiteres wirst du dort bleiben.«
    Ich starrte meinen Vater an. »Was soll das heißen?«
    »Es heißt, dass ich meine Tochter beschütze.«

2
MARMORKUCHEN
    Als mich das Weckerklingeln gegen 6.30 Uhr aus dem Schlaf riss, fühlte sich mein Körper an, als wäre er von einem Lkw überrollt worden. Jeder meiner Muskeln schmerzte. Meine Schultern brannten und mein Nacken war total verspannt. Am schlimmsten jedoch war das Hämmern in meinem Kopf, gleich hinter der Stirn, das heftiger wurde mit jedem Fiepen des Weckers. Schlaftrunken streckte ich meine Hand aus und tastete nach der Höllenmaschine auf meinem Nachttisch. Es polterte, als ich meine Leselampe herunterstieß. Lange, viel zu lange danach fand ich den Wecker und den dazugehörigen Aus-Knopf. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und weitergeschlafen. Wahrscheinlich hätte ich es sogar getan, wenn das nicht bedeutet hätte, dass meine Seele gleichzeitig nach Eisenheim zurückgekehrt wäre, wo gerade die Welt unterging!
    Es bedurfte all meiner Willenskraft, die Decke zurückzuschlagen und mich aufzusetzen. Wie ein Zombie schlurfte ich in Richtung Flur, wo mich das Licht der Deckenlampe blendete. Blinzelnd erreichte ich die Küche und stellte fest, dass der Kaffee bereits durchlief, während Christabel und mein Vater im Wohnzimmer flüsternd Kriegsrat hielten.
    Weil ich in diesem Zustand wohl kaum zu einem klaren Gedanken fähig sein würde, steuerte ich zunächst das Bad an. Unter der Dusche ließ ich mir heißes Wasser in den Nacken prasseln, bis der Raum voller Dampf war und meine Haut sich rötete. Ohne im beschlagenen Spiegel etwas erkennen zu können, rubbelte ich mein schulterlanges Haar mit dem Handtuch durcheinander, um die braunen Strähnen anschließend wieder mühsam mit dem Kamm zu entwirren. Ich schloss die Augen, während der Föhn meinen Pony verwirbelte, dann schlüpfte ich in Jeans, Pullover und Wollsocken. In der Küche füllte ich mir einen Thermobecher Kaffee ab, dann war ich bereit.
    Mein Vater
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