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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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Zimmer zurück und sah ihr nach, auch als sie schon längst aus meinem Blickfeld verschwunden war. Ich starrte vor mich hin und hing meinen Gedanken nach. Erst als ich Herrn Bachmanns Schnauzbart wenige Zentimeter von meinem Gesicht entdeckte, bemerkte ich, dass ich mich wieder in der realen Welt befand.
    Diesmal schrie mein Deutschlehrer mich nicht an. Stattdessen schnappte er nach Luft, als fehlten ihm die Worte. »Raus«, war alles, was er mir flüsternd entgegenschleuderte. »Raus aus meinem Unterricht! Sofort!«
    »Oh nein, es tut mir –«, setzte ich zu einer weiteren Entschuldigung an. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, wie schlecht einem vom Seelenwandern werden konnte, zumindest wenn man es so oft in so kurzer Zeit tat. Übelkeit stieg in mir auf und ließ meine Knie weich werden. Zittrig erhob ich mich und griff nach Rucksack und Jacke. »Ich glaube, ich bin krank oder so«, murmelte ich noch, dann begann ich zu würgen. Gerade noch rechtzeitig erreichte ich den Mülleimer, um mich zu übergeben.
    »Es tut mir wirklich leid, Herr Bachmann«, sagte ich, sobald ich wieder dazu in der Lage war, mich zu erheben. »Aber ich bin wahrscheinlich nicht ganz gesund. Ich fühle mich schon den ganzen Tag über so fiebrig«, log ich. »Am besten, ich gehe nach Hause.«
    Herr Bachmann nickte und tupfte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn.
    So schnell ich konnte, verließ ich das Schulgelände.
     
    Zu Hause ließ ich mich auf mein Bett fallen und schlief augenblicklich wieder ein. Etwa drei Stunden lang saß ich auf meiner Fensterbank in Eisenheim und hatte das Gefühl, die einzige Seele weit und breit zu sein. Dann erwachte ich davon, dass mein Handy Alarm schlug, um mich an mein Vorhaben zu erinnern. Rasch kämmte ich meine Haare, putzte mir die Zähne und trank einen halben Liter Wasser, um den bitteren Geschmack in meinem Mund loszuwerden. Dann verfrachtete ich den Marmorkuchen, den ich gestern gebacken hatte, in eine Transportbox.
    Zehn Minuten später erreichte ich das Haus mit der klogrünen Fassade. Es lag nur wenige Straßen von unserer Wohnung entfernt und beherbergte oben unter dem Dach ein winziges Zweizimmerapartment, das Marian gemietet hatte. Ich klingelte und war erleichtert, als schon kurz darauf das Summen des Türöffners ertönte. Insgeheim hatte ich mir die ganze Zeit über Sorgen gemacht, Marian würde vielleicht überhaupt nicht zu Hause sein.
    Das Treppenhaus war krumm und schief und hätte einen neuen Anstrich vertragen können. Pappkartons und Sperrmüll sammelten sich auf den Absätzen zwischen den Stockwerken. Kindergeschrei drang aus der Wohnung im Erdgeschoss, Technomusik aus der darüber. Ausgeblichene Fußmatten wellten sich dem geneigten Besucher entgegen, überall lagen Werbeprospekte von Supermärkten und Möbelhäusern, dazwischen alte Ausgaben des Steeler Kuriers.
    Hastig stieg ich hinauf in die vierte Etage, wo Marian im Türrahmen lehnte. Er empfing mich in Jogginghose und T-Shirt. Sein Haar war noch feucht vom Duschen.
    »Hey!«, begrüßte er mich überrascht. »Ist … alles in Ordnung?«
    Zur Antwort streckte ich ihm die Kuchenbox entgegen. »Happy Birthday«, sagte ich. »Eigentlich wollte ich dir ja schon heute Nacht gratulieren, aber in dem ganzen Chaos ist es dann untergegangen.«
    »Danke.« Zögerlich nahm Marian mir die Box aus der Hand, musterte erst ihren Inhalt und dann mich. »Willst du reinkommen? Ich habe eine Pizza im Ofen. Dazu gibt es Grünzeug.«
    Ich nickte.
    Nachdem ich mir Schuhe und Jacke abgestreift hatte, folgte ich ihm in das Innere seiner Studentenbude, die aus einem Schlafzimmer, in das kaum das Bett passte, und einem blau gefliesten Badezimmerchen sowie einer Wohnküche bestand. Ich war erst einmal hier gewesen, vor einigen Wochen, als Marian eingezogen war. Seither war es nicht ordentlicher geworden. Überall stapelten sich Bücher und Zeitschriften, selbst auf der Couch und dem Fernseher in der Ecke, dazwischen entdeckte ich Marians Gitarre und Teile seiner Eishockeyausrüstung. Am chaotischsten aber war sein Schreibtisch, der aussah, als hätte er seinen Papierkorb darüber ausgekippt. Blätter türmten sich über schmutzigen Kaffeetassen und dem Laptop, von dem lediglich eine Ecke hervorlugte.
    Ich trat neben Marian, der an seiner Küchenzeile herumhantierte und eine Dose Mais in eine Schüssel kippte. »Ist es okay, dass ich vorbeigekommen bin? Ich dachte, so einen Abend will doch niemand allein verbringen, und
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