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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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Duft ein, spürte seine Haut an meiner Wange, fühlte die Wärme seines Körpers und seine kräftigen Arme, die mich hielten.
    Dann löste ich mich von ihm. Blinzelte. »Schon gut«, sagte ich und stand auf, um den Kuchen zu holen. »Nachtisch?«
    »Ich liebe dich trotzdem, Flora. Das weißt du doch, oder? Möglicherweise brauche ich nur noch etwas mehr Zeit.«
    »Vielleicht«, sagte ich, schnitt den Kuchen und schluckte meine Tränen herunter. Es tat weh, Marian so nah zu sein. Viel mehr, als ich erwartet hatte. Trotzdem konnte ich nicht anders.
    So saßen wir also da, aßen krümeligen Marmorkuchen, fühlten uns elend, und doch genossen wir es, im selben Raum zu sein, den anderen zu sehen. Für ein paar Sekunden gelang es mir sogar, mir vorzustellen, wie es eigentlich sein sollte. Wie es hätte sein können, wenn wir beide ganz normale Menschen gewesen wären, die nichts von der Schattenwelt und alledem wussten.
    Dennoch entschied ich mich, bald danach zu gehen. Marian brachte mich nach Hause. Schweigend trotteten wir nebeneinanderher. Erst als wir vor meiner Haustür angekommen waren, ließ ich meine Fingerspitzen vorsichtig über seine Handrücken gleiten, ganz kurz nur. »Ich liebe dich auch«, sagte ich.
    Für den Bruchteil einer Sekunde schien Marian sich vorzuneigen, als wolle er mich küssen. Dann ließ er es aber doch bleiben. »Das war ein schöner Geburtstag«, sagte er stattdessen. »Schlaf gut.«
    »Du auch.«
    Ich kramte meinen Schlüsselbund aus meiner Handtasche hervor. Dennoch machte keiner von uns beiden Anstalten zu gehen, während ein Auto an uns vorbeifuhr und ein Stück weiter einparkte. Die Fahrertür wurde zugeworfen. Ein Mann mit einem Dalmatiner an der Leine kam den Gehweg entlang und quetschte sich zwischen uns durch. Gegenüber öffnete jemand ein Fenster, die Stimmen eines Spielfilms krochen in die Häuserschlucht hinab. Da endlich setzte Marian sich in Bewegung und ich verbot mir, ihm nachzusehen.

3
MATERIENBEBEN
    Sobald ich eingeschlafen war, verließ ich den Palast und machte mich auf den Weg nach Graldingen, wo die reichsten Wandernden in Villen und Stadtschlössern lebten. Graldingen lag so weit entfernt von den Grenzen Eisenheims, dass man sich hier wenig an der neuerlichen Bewegung des Nichts zu stören schien. Elegante Spaziergänger flanierten über die Rue Monsieur le Coq und die angrenzenden Boulevards, in denen es von Cafés und Restaurants, Boutiquen und Buchhandlungen nur so wimmelte. Man grüßte sich fröhlich, fuhr seinen glänzenden Oldtimer spazieren oder tauschte im Schatten von Eiffelturm und Kreml den neusten Klatsch und Tratsch. Die Damen trugen Fellumhänge und wadenlange Tageskleider mit Stehkrägen und Zierknöpfen, die sich auch an Stiefelchen und Handschuhen wiederfanden. Die Herren schwangen Spazierstöcke und zogen an ansehnlichen Zigarren, während Zeppeline den Luftraum über der Stadt bevölkerten und sich der Qualm aus den Schornsteinen des Schlotbarons als Gewitterwolke an den Horizont heftete. In den Cafés nippte man an winzigen Tassen aus chinesischem Porzellan und diskutierte über Politik, Kunst und Literatur. Von dem Ausnahmezustand, von dem mein Vater gesprochen hatte, war nicht das Geringste zu erkennen.
    Wie auch? Das Nichts bedrohte Graldingen und seine bedachten Bewohner nicht. So war es schon seit Jahrhunderten: Das Nichts verschlang Teile der Stadt, aber immer die der Armen. Ob es nun gestern oder erst in einem Vierteljahrhundert passierte, spielte da überhaupt keine Rolle. Es wurde in den Zeitungen vermeldet, bildete hier und da vielleicht den Aufhänger für eine Diskussion über die Fortschritte der Wissenschaft auf diesem Gebiet. Nur die am Bordstein zusammengefegten Aschehaufen, bei deren Anblick ich schon wieder ein ganz leichtes Ziehen in der Brust spürte, erinnerten an das, was gestern geschehen war. Doch das war’s dann auch schon. In Graldingen ging das Leben weiter.
    In Krummsen sah die Sache anders aus.
    Ich wanderte durch die Straßen der Stadt, die nach und nach schäbiger und unbelebter wurden. Die Häuser wurden schmutziger, standen leer. Anscheinend hatten noch mehr Menschen den gefährdeten Stadtteil verlassen oder waren noch dabei, so wie die Frau, die mir mit einem Handkarren voller Habseligkeiten entgegenkam. Ich erkannte sie als die Wirtin einer Spelunke, vor der ich einmal einen Faustkampf beobachtet hatte. Als ich kurz darauf das Ladenlokal passierte, fand ich die Fenster mit Pappe verklebt, die Tür mit mehreren
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