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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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bröckelte das Mauerwerk.
    Einmal in der Schattenwelt angekommen, war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Mein Körper schlief schließlich, zwar im Unterricht von Herrn Bachmann (was suboptimal war), aber er ruhte sich aus. Das war alles, was zählte.
    Rasch warf ich die stinkende Decke von mir und rappelte mich auf. Ich wollte gerade zur Tür hinübergehen, als jemand in der realen Welt an meiner Schulter rüttelte. Ich schlug die Augen auf und erkannte vor mir den Schnauzbart meines Deutschlehrers, der bedrohlich zitterte.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, rief Herr Bachmann. »Du schläfst schon wieder während meines Unterrichts?«
    »N-nein«, stammelte ich. »Ich war nur kurz … Entschuldigung, ich hatte eine unruhige Nacht heute. Diesmal liegt es ganz bestimmt nicht am Film. Ehrlich nicht. Es tut mir leid. Jetzt bleibe ich wach.«
    Herr Bachmann hob eine Augenbraue. Auch er schien unsere Diskussion im Zusammenhang mit den Buddenbrooks noch in lebhafter Erinnerung zu haben. »Na gut«, knurrte er schließlich und ließ den Film weiterlaufen.
    Ich nahm mir tatsächlich vor, wach zu bleiben, denn ich wollte auf keinen Fall noch mehr Ärger riskieren. Notfalls würde ich meine Augen mit Daumen und Zeigefingern aufhalten müssen. Allerdings war ich zu müde, um meine Hände zu heben. Ich bekam gerade noch mit, wie ein junger Mann auf dem Bildschirm durch das Sankt Petersburg des 19. Jahrhunderts spazierte, dann war ich auch schon wieder eingepennt.
    Durch Dunkelheit und Kälte wanderte meine Seele zurück in die Schattenwelt, wo ich auf dem Teppich in meinem staubigen Palastgemach landete und statt zur Tür doch lieber zum Fenster schlenderte (schließlich würde ich vermutlich schon sehr bald wieder aus dem Schlaf gerissen werden, da machte es wenig Sinn, irgendwohin zu gehen).
    Also hockte ich mich auf die Fensterbank und wartete. Durch die verschmierten Scheiben spähte ich derweil hinunter in den Innenhof, in den gerade eine pechschwarze Kutsche einfuhr. Sie wurde von zwei mächtigen Schattenpferden gezogen, deren Schwingen von einer Art Zaumzeug auf ihrem Rücken zusammengehalten wurden. Das Gespann durchquerte den Hof, vollführte einen Halbkreis und kam schließlich vor dem Hauptportal zum Stehen.
    Dann passierte eine Zeit lang überhaupt nichts. Die Schattenpferde stierten vor sich hin, während Vorhänge verhinderten, dass ich das Innere des Wagens und seine Passagiere erkennen konnte. Ich nagte an meiner Unterlippe und fragte mich, wer ausgerechnet jetzt etwas von meinem Vater wollte. Es war doch allgemein bekannt, aus welcher Zeitzone der Fürst stammte und dass er folglich um diese Uhrzeit kaum in der Schattenwelt anzutreffen sein würde …
    »Also, nun reicht es mir aber!«, donnerte Herrn Bachmanns Stimme ungehalten zwischen meine Gedanken. Mit dröhnendem Kopf fand ich mich in der realen Welt wieder. Herrn Bachmanns Gesicht war von unzähligen roten Flecken überzogen und sein Atem ging schwer. »Eine Unverschämtheit ist das«, schimpfte er.
    Ich rieb mir die Stirn, die sich verdächtig danach anfühlte, als sei sie kurz zuvor auf die Tischplatte vor mir geknallt. Ich ertastete sogar eine Einkerbung, die vermutlich von der Holzkante stammte. »’tschuldigung«, murmelte ich, während Herr Bachmann mich ins Klassenbuch eintrug. »Es war keine Absicht. Es ist nur …«
    »So ein Verhalten dulde ich nicht.« Er fuchtelte mit seinem wulstigen Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Das wird Konsequenzen haben.«
    »Ich konnte heute Nacht wirklich kaum schlafen«, beteuerte ich. Doch Herr Bachmann würdigte mich keines weiteren Blickes mehr.
    Der Film lief weiter, und ohne dass ich etwas dagegen ausrichten konnte, fielen mir erneut die Augen zu. Zum dritten Mal innerhalb von einer halben Stunde wanderte meine Seele in die Schattenwelt. Ich erreichte meinen Platz am Fenster gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie jemand die Tür der Kutsche hinter sich zuzog. Jemand, der einen Dreispitz trug. Im nächsten Moment setzten sich die Schattenpferde in Bewegung. Der Wagen hatte den Eisernen Kanzler also abgeholt, überlegte ich. Und zwar eindeutig vom Palast und nicht von der Villa auf der anderen Seite des Parks, die der oberste Befehlshaber der Schattenreiter bewohnte. Die Frage, die sich stellte, war also, warum Alexander von Berg hier gewesen war.
    Mitten am Tag. Ohne meinen Vater.
    Die Kutsche rollte vom Hof und in die Dunkelheit der Stadt hinaus. Ich hingegen blieb in meinem heruntergekommenen
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