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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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ihre fleischigen Knöchel, ihr Haar hatte sie zu einem Dutt geknotet, der im Vergleich zu ihrer Körperfülle und dem teigigen Gesicht geradezu winzig wirkte. Eine Erbse, die an ihrem Hinterkopf klebte und sich als Frisur ausgab. Über verschränkte Arme hinweg funkelte die alte Dame mich an.
    Langsam betrat ich den Übungssaal, dessen Boden von schmalen Wasserkanälen durchzogen wurde.
    »So, so«, murmelte sie. »Beim Barte des Desiderius, die Prinzessin bequemt sich also doch noch zu uns.«
    Natürlich war mir klar, dass ich bei Madame Mafalda nicht mit einer Sonderbehandlung rechnen konnte, nur weil ich zufällig die Tochter des Schattenfürsten war. »Ich –«, setzte ich dennoch zu einer Entschuldigung an.
    »Habe mir nur das Nichts angesehen?«, sagte Madame Mafalda und es klang wie: Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen.
    »Nein«, protestierte ich. »Es ist wegen …« Ich zögerte. Madame Mafalda wusste selbstverständlich darüber Bescheid, dass wir Wiebke und Linus bewachten und vor den Schattenreitern des Kanzlers beschützten. Ebenso wie der Großmeister und etwa ein Dutzend Kämpfer des Bundes. Doch das galt längst nicht für alle, die in Notre-Dame lebten und gerade mit Kampfstöcken um uns herumwirbelten. Die Angelegenheit war schließlich einigermaßen … delikat, wenn man bedachte, dass mein Vater dem Kanzler noch immer mehr vertraute als sonst einem Menschen, was wahnwitzig war, nur weil der Kanzler unsterblich war und seit Generationen meiner Familie diente. Dabei hatte er erst vor Kurzem versucht, den Weißen Löwen an sich zu bringen und ein Portal zwischen den Welten zu schaffen, um auch in der realen Welt Angst und Schrecken verbreiten zu können. Ich atmete tief durch. »Es ist wegen meiner Freunde«, erklärte ich.
    Madame Mafalda spitzte die wulstigen Lippen. »Gab es irgendwelche Vorkommnisse?«
    »Nein, das nicht. Aber –«
    Die Schwester des Großmeisters schnaubte. »Dann, Herzchen, bist du zu spät. So etwas dulde ich nicht. Sollte das noch einmal vorkommen, wirst du vom Training ausgeschlossen. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    »Aber es war nicht meine Schuld!«, rief ich. »Ich wurde nicht rechtzeitig abgelöst, okay? Ich habe nicht getrödelt oder so.« Madame Mafalda sah aus, als habe sie in eine Zitrone gebissen. »Und außerdem bin ich sonst noch nie zu spät gekommen. Es war ein Versehen! Kein Grund, so auszurasten«, ereiferte ich mich weiter. Madame Mafalda schwieg und erst da bemerkte ich die Empörung im Blick der alten Dame und die dunklen Flecken, die der Zorn auf ihre Doppelkinne malte. »Also, äh, es tut mir natürlich trotzdem sehr leid«, nuschelte ich.
    Sie seufzte. »Und mir erst. Es ist ja nicht so, als hättest du kein Training nötig, nicht wahr? Na los, warm machen.«
    Gehorsam trottete ich in eine Ecke und begann damit, mich zu dehnen. Neben mir fochten derweil der grobschlächtige Arkon und die schmale Amadé. Obwohl Amadé Arkon kaum bis zur Brust reichte, behielt sie die Oberhand und drängte ihren Gegner immer weiter in Richtung Wand. Ihre Bewegungen waren ein einziges Fließen, sie hielt den Langstab so mühelos, als sei er ein Zahnstocher.
    Madame Mafalda hatte recht, so gut wie Amadé war ich noch lange nicht und vermutlich würde ich es niemals werden. Dennoch hatte ich in den letzten Wochen beachtliche Fortschritte gemacht. Mittlerweile beherrschte ich zumindest die einfachen Techniken der Verteidigung und auch den einen oder anderen Angriff. Nicht viele Kombinationen, aber dafür effektive. Genug jedenfalls, um jeden Schattenreiter in die Flucht zu schlagen, der sich erdreistete, in der Nähe der Zwillinge aufzutauchen.
    Obwohl meine Gedanken immer noch um das Nichts und die weißliche Asche kreisten, die ich bei meinem Sturz gesehen hatte, beeilte ich mich mit den Aufwärmübungen. Anschließend begab ich mich auf die Suche nach einem Gegner, doch das Dämmerungstraining fand ein jähes Ende, noch bevor ich jemanden gefunden hatte.
    Denn der Schattenfürst höchstpersönlich rauschte in den Saal. Augenblicklich wurden die Kämpfe eingestellt. Alle Köpfe wandten sich zur Tür.
    Mein Vater trug einen Pelzmantel, der bis zum Boden reichte, und seine Kette aus Silberplatten, deren Gewicht ihn leicht vornübergebeugt stehen ließ. Fahrig wischte er sich über die Augen, unter denen dunkle Schatten lagen, die wie Tintenflecken auf seiner aschgrauen Haut klebten. War er in normalen Nächten schon müde, so
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