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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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Dunkle Materie für uns abbauen muss, dachte ich. Es war besser, wenn sich die Schlafenden nicht daran erinnerten, und auch Linus würde es nur beunruhigen, wenn er davon erfuhr. »Du brauchst dir wirklich keine Gedanken um mich zu machen. Ich werde sowieso gleich abgelöst.«
    »Ja?«, fragte Linus mit einem Stirnrunzeln, als wäre er sich nicht sicher, ob er sich freuen sollte, weil er dann bald ins Warme konnte, oder sich ärgern, weil er bereits ahnte, wer in Kürze hier auftauchen würde. Er blickte auf die Uhrzeitanzeige im Display seines Smartphones. »Wann denn?«
    Ich zögerte.
    »Flora? Wann kommt die Ablösung?«
    »Äh, gleich.«
    »Gleich?«
    »Mhm.« Ich nickte. »Also noch nicht sofort.«
    »Sondern?«
    Ich zog die Knie an und steckte sie mit unter meine Jacke, sodass ich in einem Kokon aus Daunen auf der Bank hockte. »In … nicht all zu ferner Zukunft?«, stammelte ich.
    Linus runzelte die Stirn. Er saugte an seinem Lippenpiercing. »Häh?«, sagte er schließlich und brachte mich mit seinem verwirrten Gesichtsausdruck endgültig zur Kapitulation.
    »Vor anderthalb Stunden«, gab ich zu und stützte den Kopf in meine in den Jackenärmeln steckenden Hände, um mich für Linus’ Ausbruch zu wappnen, der unweigerlich folgte, wann immer er etwas an Marian fand, das er kritisieren konnte. In der Regel genügten Kleinigkeiten wie die bloße Anwesenheit meines Exfreundes. Eine Verspätung von über einer Stunde war für Linus vermutlich Grund genug, Marian aus dem Land zu jagen.
    Tatsächlich schäumte er bereits einen Atemzug später vor Wut. »Alter! Ich wusste, er ist ein Arsch. Aber dass er dich echt versetzt! Noch dazu mitten in der Nacht! Bei minus achtzig Grad und –«
    »Der Arsch hatte mit einem Notfall zu tun«, sagte eine Stimme hinter uns, ehe Linus sich weiter in Rage reden konnte.
    Eine bleiche Hand schob sich auf meine Schulter. »Tut mir leid«, murmelte Marian.
    Einen Wimpernschlag lang hüllte mich der Duft von Holz und Erde ein. Finnischer Wald. Dann ließ Marian mich so plötzlich los, als habe er sich an mir verbrannt, und kam um die Bank herum. Breitschultrig baute er sich zwischen Linus und mir und dem Haus, das wir bewachten, auf. Das weißblonde Haar hing ihm ungekämmt in die Stirn, seine Kiefer presste er aufeinander, die Muskeln unter seinem Kapuzensweatshirt waren angespannt. Wieder einmal erinnerte er mich so sehr an einen Wikinger, dass ich vor meinem inneren Auge förmlich sah, wie seine Vorfahren in Drachenbooten die Weltmeere erobert hatten.
    »Spät dran, was?«, feixte Linus, den Marians Gestalt nicht im Geringsten zu beeindrucken schien. Er hatte die Beine vor sich ausgestreckt und seinen rechten Arm wie zufällig hinter mir auf die Lehne der Bank gelegt. »Wir hatten trotzdem einen netten Abend. Oder sollte ich lieber sagen: gerade deswegen?«
    Der herausfordernde Unterton prallte von Marian ab wie von einer Wand, er bemerkte ihn nicht einmal. Stattdessen starrte er mich an. In seinem Blick erkannte ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Ganz und gar nicht in Ordnung. Mit einem Schlag war ich hellwach.
    »Es war sehr unterhaltsam.« Linus grinste vielsagend.
    »Wurdet ihr etwa angegriffen?«, fragte Marian alarmiert. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
    »Nein, hier war alles ruhig. Keine Schattenreiter weit und breit, Linus redet bloß mal wieder Blödsinn«, beeilte ich mich zu sagen. »Was ist denn passiert?«
    »Eisenheim«, stieß Marian hervor. Erst jetzt bemerkte ich, wie schnell er atmete. Du meine Güte!
    »Was? Was ist mit Eisenheim?« Meine Handflächen wurden feucht.
    Für einen Sekundenbruchteil huschten Marians Pupillen in Linus’ Richtung und wieder zurück.
    »Marian?« Die nächtliche Stille wurde mit einem Mal unangenehm drückend. »Marian? Rede mit mir.«
    »Nichts«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
    Endlich schien auch Linus den Ernst der Lage zu erkennen. »Okay, Leute, hab’s kapiert. Das ist mein Stichwort.« Er erhob sich. »Also dann: Bis morgen. Gute Nacht, Flora! Tschüss, Hulk! Wird hier ja sowieso langsam ungemütlich.«
    »Nacht«, murmelte ich abwesend, während Linus schon zum Haus auf der anderen Straßenseite stapfte und mit zitternden Fingern einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche angelte. Kurz darauf fiel die Haustür hinter ihm mit so viel Schwung ins Schloss, dass vermutlich seine ganze Familie erschrocken aus dem Schlaf fuhr.
    Allerdings war das im Augenblick so ziemlich das Letzte, worum ich mir Sorgen
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