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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche
Autoren: Kuhn Kuhn
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Tochter so wenige Gedanken an ihre Mutter verschwendet hatte, wie ich an mein Kind, würde sie mir ins Gesicht lachen. Aber der Gedanke an das Vermögen, das die Tochter von der Familie geerbt haben musste, ließ mich nicht los.
    Ich ging also an jenem Dienstag, den 10.11., zu Berti, läutete an der Tür und sagte: ›Ich bringe die Unterlagen, die du im Geschäft vergessen hast.‹
    Berti war alles andere als erfreut. Immerhin ließ sie mich herein. Ich fuhr mit dem Lift in den dritten Stock. Dort riss Berti die Tür auf und stand vor mir im rosaroten Negligé, unter dem sie nichts als eine winzige Unterhose trug.
    Sie sagte kurz angebunden: ›Gib her. Ich habe keine Zeit.‹
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen. ›Nur zwei Minuten‹, sagte ich, ›ich muss mit dir reden.‹
    Berti ließ mich nur höchst unwillig ein.
    ›Mach aber kurz‹, forderte sie, während sie vor mir her in das Wohnzimmer ging. Dort setzte sie sich auf die große Couch. Der Tisch davor war gedeckt, im Kühler stand eine Prosecco-Flasche.
    ›Schau nicht so dumm‹, sagte Berti. Sie klopfte auf den Platz neben sich, ›komm setz dich und sag, was du willst. Dann verschwindest du wieder.‹
    Ich setzte mich neben die Frau, die meine Tochter war, und platzte heraus: ›Ich bin deine Mutter.‹
    Dann wartete ich auf Bertis Reaktion. In meiner Jackentasche hielt ich die Injektionsspitze.
    ›Du, meine Mutter!‹, schrie Berti, warf sich auf dem Sofa nach hinten und lachte schallend los.
    Ich hatte bis zu dem Moment keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte, einen Menschen zu töten. Doch plötzlich spürte ich einen Hass in mir, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich ihn empfand. Er galt nicht der Tochter, sondern dem Mann und der Familie, denen ich nicht gut genug gewesen war. Ich zog die Spritze aus dem Sack und stieß sie Berti in den nackten Oberschenkel. Sie spürte den Stich, richtete sich halb auf. Sie war so fassungslos, dass sie zusah, wie ich ihr den ganzen Inhalt ins Fleisch drückte.
    Ich zog die Spritze heraus, reinigte sie. Berti blieb stocksteif liegen. Sie sagte kein Wort, sah nur vor sich hin. Nach ein paar Minuten wurde sie bewusstlos. Ich drückte ihr die leere Spritze in die Finger und ging. Ich fühlte mich irgendwie benommen, gleichzeitig beschwingt, weil es mir so leicht gefallen war. Ich verließ das Haus und zum ersten Mal in all den Jahren gestand ich mir ein, wie sehr ich mein Leben lang unter der Demütigung durch die Familie Walter gelitten hatte. Dass ich jetzt doch an deren Geld kommen würde, empfand ich in dem Moment als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Solange, bis die Untersuchung über Bertis Tod abgeschlossen und auf Unfall oder Selbstmord erkannt worden wäre, überlegte ich, würde ich mich ruhig verhalten. Nachher konnte ich als ihre nächste Verwandte auftreten und mein Erbe einfordern. Den Beweis, dass ich Bertis leibliche Mutter war, würde ich mühelos mittels einer DNA-Analyse erbringen. Da hatte ich keine Bedenken.«
    Noldi steht auf.
    »Frau Wehrli«, sagt er ernst, »ich nehme Sie fest wegen des Mordes an Ihrer Tochter, Berti Walter.«
    Sie seufzt.
    »Danke.«
    Während sie ihren Stuhl sorgsam an den Tisch schiebt, sagt sie: »In Drosendorf, meinem Heimatort, gibt es in der Kirche einen Reliquienschrein der heiligen Valentina. Sehr viel mehr als ein staubiges Gerippe auf einem Brokatkissen ist von ihr nicht übrig. Aber an einer Hand trägt sie einen kostbaren Ring. Den hätte ich als Kind so gern gehabt.«
    Sie schaut Noldi an, ob er sie versteht. Dann streicht sie ihre Jacke glatt, nimmt die Reisetasche und geht zur Tür.
    »Moment«, sagt Noldi. Er telefoniert nach einer Beamtin, die sie abführen soll.
    Plötzlich zittern seine Knie. Der Fall ist gelaufen. Ihm wäre ein anderer Ausgang lieber gewesen.
    Da schleicht Franz bei der Tür herein.
    »Entschuldige«, sagt er. Er ist nicht vollkommen betrunken, aber auch nicht nüchtern.
    »Ist schon gut«, wehrt Noldi ab. Er denkt dabei, ob der andere noch seinen Dienst machen kann oder nicht, ist ihm jetzt egal.
    Er will nur noch eines. Er will hier raus, bevor er weinerlich wird.
    Draußen im Hof atmet er tief durch. Die Vorstellung, nach Hause zu fahren und sich einfach wieder an den Familientisch zu setzen, die ihm vorher noch so verlockend erschienen ist, findet er nun unerträglich.
    Eine Mutter, die ihr Kind für Geld umbringt, denkt er und knirscht mit den Zähnen. Dann tritt er auch noch kurz gegen die Hauswand. Er ist
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