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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche
Autoren: Kuhn Kuhn
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nicht weit von der Grenze entfernt liegt. Dann ruft er noch einmal dort an. Er fragt, ob der Termin wirklich am Dienstag den 10.11. war.
    »Ja«, heißt es.
    Noldi fragt noch einmal zurück.
    »Sind Sie sicher?«
    »Im Prinzip schon«, antwortet die Stimme im vornehmsten Hochdeutsch, das Noldi je gehört hat. »Aber wissen Sie, Zeit spielt bei uns hier auf dem Land keine so große Rolle.«
    Darauf beschließt Noldi, diesem Herrn einen persönlichen Besuch abzustatten. Er fährt mit dem Auto und wählt eine mittlere Geschwindigkeit. Wenn Wehrli zwischen siebzehn und neunzehn Uhr dorthin unterwegs war, denkt Noldi, muss man mit Abendverkehr rechnen. Trotzdem, stellt er fest, hätte der Mann Zeit genug gehabt, Berti zu töten und dann nach Deutschland zu fahren.
    Das Schloss mit seinen Türmen, Türmchen und falschen Zinnen liegt auf einem Hügelkamm.
    Du lieber Himmel, denkt Noldi, als er es von nahem sieht, ein Abbruchobjekt. Er parkt seinen Wagen vor der Einfahrt, steigt aus. Sofort kommt ein kleiner weißgelber Hund, bellt wie verrückt, fletscht die Zähne und springt ihn an. Er beißt nicht, aber er springt ihn mutig an.
    »Biene, Biene«, ruft eine brüchige Stimme, »Schluss jetzt.«
    Darauf lässt der Hund von Noldi ab, zeigt aber weiterhin die Zähne und knurrt.
    Im Eingang des Hauses erscheint eine Frau.
    »Sie sind Polizist«, stellt sie statt einer Begrüßung fest.
    »Wieso? Merkt man das?«, fragt Noldi interessiert.
    Die Frau lacht kurz auf.
    »Sonst würde Biene nicht so verrückt spielen.«
    »Wie merkt der Hund das? Ich bin nicht in Uniform.«
    Die Frau schüttelt den Kopf.
    »Ich weiß es nicht. Offensichtlich stimmt es.«
    »Arnold Oberholzer von der Kantonspolizei Winterthur«, stellt Noldi sich jetzt vor. »Aus der Schweiz«, fügt er sicherheitshalber noch hinzu.
    »Ich habe telefoniert.«
    »Oh ja«, sagt sie, »kommen Sie. Mein Bruder ist in der Küche.«
    Der Mann, der sich bei ihrem Eintritt vom Tisch erhebt, ist um die fünfzig, hager und hochgewachsen wie seine Schwester, mit einem langen schmalen Schädel.
    Er reicht Noldi eine schwielige Hand. Seine Jacke ist an einigen Stellen mit großer Sorgfalt geflickt.
    »Unser Vater«, beginnt der Baron nach der Begrüßung, »pflegte einen durch und durch aristokratischen Lebensstil.«
    »Mein Bruder will sagen«, schaltet sich trocken seine Schwester ein, »unser Erzeuger hat alles, was hier nicht niet- und nagelfest war, verhurt, verspielt und versoffen. Alles, was uns geblieben ist«, sagt sie, »ist der Meierhof, den wir jetzt selbst bewirtschaften. Wenn früher oder später die Erbschaftssteuer fällig wird, müssen wir Land verkaufen. Dann rentiert der Betrieb überhaupt nicht mehr. Es ist jetzt schon knapp genug.«
    »Herr Wehrli«, fährt nun der Bruder fort, »ist in dieser Sache äußerst hilfreich. Er hat für uns die kostengünstigste Variante durchgerechnet. Und er meint, haben wir die Erbschaftssteuer vom Hals, könnten wir eine Hypothek auf den Hof aufnehmen, um die nötigsten Sanierungen anzugehen, zum Beispiel die Ställe. Dann hätten wir Platz für mehr Vieh. Und so fort und so weiter. Aber ob der Herr Wehrli eine Stunde früher oder später zu dem Gespräch erschienen ist, entzieht sich leider unserer Kenntnis.«
    »Das heißt, weil Herr Wehrli so hilfsbereit war, sind Sie es auch und geben ihm ein falsches Alibi.«
    Der Baron ist beleidigt ob dieses Verdachts. Seine Schwester lacht, aber mehr kommt dabei nicht heraus.
    Noldi steht auf und sagt schon im Gehen, »Schade, es hätte ja sein können.«

    Damit ist er am Ende seiner Weisheit. Zwar befällt ihn von Zeit zu Zeit noch der Drang, nach Weesen zu fahren, ins Frisco zu stürmen, Elsbeth Wehrli, diese kleine alte Hexe, vorne an ihrer Bluse zu packen und zu schütteln. Aber er lässt es. Er weiß, es hat keinen Sinn und er keine Berechtigung, die Frau weiter unter Druck zu setzen.
    Am meisten quält ihn das Gefühl, versagt zu haben. Wenn er an Kevins sinnlose Flucht denkt und die darauf folgende Verkettung unglücklicher Umstände, wird er nach wie vor schamrot. Aber seit Meret ihm eines Abends im Bett ernster, als es sonst ihre Art ist, klar gemacht hat, dass er seinen Frust über sich selbst nicht an seiner Familie auslassen darf, bemüht er sich redlich, sein Unbehagen über den Ausgang des Falles zu verdrängen.
    Erleichtert wird ihm das durch die Weihnachtsvorbereitungen. Im Hause Oberholzer setzt wilde Tätigkeit ein. Meret und Fitzi fabrizieren ungeheure Mengen von
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