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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein
Autoren: Lisa Kraenzler
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Fingernägel und den Schliff des kleinen, in der Mitte ihres weißgoldenen Eherings versenkten Brillanten, als auch jedes einzelne Tier der nach Größe und Farbe sortierten Dickhäutersammlung bis ins letzte Detail.
    Eine weitere negative Begleiterscheinung des freitagnachmittäglichen Unterrichts war der lange, steil ansteigende Weg zu Frau Lichtels Haus ⁠…
    Notensystem, Altweiberhände, Porzellankitsch, anstrengender Fußweg – die Klavierstunde entpuppte sich als lästige Pflicht und ärgerliche Zeitverschwendung.
    Wie gerne hätte ich jene Stunde, um die mich der Unterricht beraubte, für meine große Leidenschaft genutzt, die Geschichten und Märchen meiner Hörspielkassetten am Klavier zu begleiten, was die Erzählungen – meiner Meinung nach – vervollkommnete.
    7.
    »Es waren einmal drei kleine Schweinchen ⁠…«
    VOM C AUS EIN , ZWEI OKTAVEN NACH RECHTS . DREI DREIKLÄNGE . QUIETSCHIG .
    »die wohnten mit ihren Eltern in einem kleinen Haus«
    WOHNEN IST MITTE . VATERSCHWEIN SYMPATHISC H TIEF , MUTTERSCHWEI N ETWAS HELLER .
    »aber je größer die Schweinchen wurden ⁠…«
    LAUTER WERDENDE DREIKLÄNGE .
    »desto kleiner schien das Haus zu werden«
    VARIATION DES WOHNTHEMAS : ZAGHAFTE , HOHE , KURZ ANGESCHLAGEN E PLING - PLINGS .
    »Es wird Zeit, dass ihr euer Leben selbst in die Hand nehmt!«
    AUFBRUCHSTIMMUNG . FINGER RASEN DURCH MEHRERE OKTAVEN RICHTUNG FERNE UND FREIHEIT .
    »Das erste Schweinchen baute sich ein Haus aus Stroh ⁠…«
    PIANISSIMO . ZARTE , PIKSENDE HALBE ALS HALME . RAUSCHEN IN RITZEN . LUFTIGE PAUSEN .
    »Das zweite Schweinchen baute sich ein Haus aus Ästen und Zweigen ⁠…«
    VARIATION DES WOHNTHEMAS . MEZZOFORTE . BEGLEITENDES KLOPFEN AUFS HELLHÖLZERNE GEHÄUSE .
    »Das Haus des dritten aber war aus Stein.«
    STABILER FÜNFKLANG . TON AUF TON WIE STEIN AUF STEIN .
    Einsatz Wolfsstimme.
    DUNKLES , KNURRENDES GROLLEN . LINKE HAND .
    Sein Husten und Pusten.
    DRAMATISCH E HALLEFFEKT E. RECHTES PEDAL .
    »Nein, oh nein! Bei den Borsten auf meinem Rücken, ich lass dich nicht ein, ich kenn deine Tücken!«
    SCHRILLE PANIK . STACCATO - GEQUIETSCH E. DAS » NEIN !« EIN FAUSTSCHLA G IN DIE TASTEN .
    ZWEIMAL DAS GLEICHE SPIEL : EINSTÜRZENDE HÄUSER UND FLIEHENDE SCHWEINCHE N. LINKE HAND WOLF -, RECHTE HAND SCHWEINCHENBEINE . RASENDSCHNELLE FINGER . BEIDHÄNDIGES NÄGELGEKLAPPER ( WOLFSKRALLEN , SCHWEINEHUFE ).
    DER WOLF AUF DEM DACH DES STEINHAUSE S, DEN SCHWEINCHE N SO NAH WIE NIE ⁠…
    »Was sollen wir bloß tun?«
    GESPANNTES TRILLERN .
    Der Wolf gleitet durch den Schornstein.
    EINE RUTSCHFAHR T ÜBER ALLE TASTEN BIS ZUM » PLATSCH !«, EIN HÄNDEKLATSCHEN ALS LANDUNG IM SUPPENTOPF .
    »Er heulte einmal laut auf –«
    VIEL FIS . FORTISSIMO .
    »dann hörte man nichts mehr von ihm.«
    FINGER WEG VON DEN TASTEN .
    BESTÜRZTES UND ERLEICHTERTE S SCHWEIGEN .
    Finaler Freudentanz der Schweinchen.
    TRILLERNDE DREIKLÄNGE UND AUSGELASSENE QUIETSCHER .
    Ende.
    BEFRIEDIGTES GRUNZGESCHRÄUSCH AUS TIEFSTER KEHLE ( OPTIONAL ).
    Das war gut.
    Ich drücke die Stopptaste und nicke lobend Richtung Klavier. Wir verstehen uns auch ohne Noten, das Piano und ich. Ja, unsere Kommunikation verläuft in der Tat absolut reibungslos, stimmig und störungsfrei und mein Bedürfnis nach dieser bislang ungekannten Klarheit wächst von Woche zu Woche.
    Inzwischen freue ich mich schon morgens auf den Nachmittag, wenn wir gemeinsam leise, laute, schöne, schrille oder schräge Tongehäuse für jedes erdenkliche Gefühl errichten ⁠…
    Der einzige Makel, den ich an der Musik entdecke, ist der, dass sie an das viel zu große, viel zu schwere Instrument gefesselt ist und ich sie nur in Gedanken mitnehmen kann.
    Ich wünschte, es gäbe ein Klavier für die Hosentasche.
    Mit den winzigen, fühlerfeinen Fingern, die mir im Moment des Erscheinens meines Hosentaschenpianos wachsen würden, wäre das Treffen der einzelnen Miniaturtasten nicht weiter schwer.
    Fortan könnte ich jeden meiner Schritte mit den herrlichsten Melodien unterlegen, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sich die Kinder wie beim Rattenfänger an meine Fersen heften würden.
    Jene bunte Schar, die meine Kompositionen einmal jubelnd und mit Rosenblättern werfend empfangen wird, vielleicht versteckt sie sich bereits heute, ängstlich und andächtig lauschend, in meinem Schatten und ich bräuchte mich nur umzuwenden, um –
    Die Schreie aus dem unteren Stockwerk klingen eher bedrohlich als fröhlich.
    Es ist die Stimme meiner
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