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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein
Autoren: Lisa Kraenzler
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abwärts die Seiten entlang, bis tief hinein in die Hüfte. Ein Klang wie streifende Federkiele. Gerubbel und Getaste, das mich wie Feuer- und Katzenzungen, mal flammend, mal schokoladig-schmelzend ableckt, das ziept und zieht und mir ein unerträglich drängendes Pipigefühl zwischen die Beine pflanzt.
    Sehnsucht nach einer Kante, einer Härte überfällt mich.
    Auf der Suche nach Widerstand verspanne ich die Nackenmuskeln, beuge und biege Kopf und Schläfe zur Schulter, bis alle Sehnen zum Zerreißen straff sind.
    Mit Händen, die gern Fäuste wären, knete ich deine Bäckchen wie Teig; zwicke, grabsche, drücke und wünsche, ich könnte das verfluchte Weichmacher-Elixier aus deiner Haut pressen. Das Gemaunze wird lauter. Jetzt protestierst du.
    Hör auf dich zu wehren!
    Du bist mein Kätzchen! »Meins, meins, meins«, kreische ich und reiße an deinen Locken. Wo sind die Bauernstiefel, mit denen ich dich aus dem Bett treten und deiner Schmiegsamkeit ein Ende bereiten kann?
    Bis runter auf den Teppich will ich dich stoßen. Will eine raue Zunge werden, die dich mit gieriger Sorgfalt von den Fasern schleckt.
    Es darf nichts übrig bleiben. Nicht das Geringste.
    Zuletzt gelingt es mir dann doch, die Hände unter den Hintern zu sperren, wo sie, unschädlich und plattgemacht, festsitzen. Die Hitze ist vorüber, der Hochofen wieder Hochbett. Beinah wären wir verschmolzen.
    Doch jetzt bist du du und ich ich.
    Kein Kätzchen, kein Schmelz und keine Bauernstiefel weit und breit. Nur ein paar rote Flecken auf deinen Wangen.
    9.
    Den ganzen Tag in Häcksel-, Mulch- und Strohresten unter den Sträuchern gelegen, die Beine im eigenen, die Köpfe im Nachbargarten.
    Über unseren Gürteln krallen sich gefährlich stachelige Brombeerranken an dünne Drähte. An den Zweigen nahe unserer Sandalen, Schienbeine und schmutzigen , unter zerfransten Jeansrändern hervorragenden Knie, sind die Früchte noch hell. Nur ganz oben, an vorderster Sonnenfront, errötet etwas.
    Jenseits der Grundstücksgrenze, wo sich die Büsche bereits unter kiloschweren Beerenlasten zu bogenförmigen Spalieren verbiegen, reißen wir unsere Mäuler auf, unter Ästen, die krumm sind wie die Wirbelsäulen dickbusiger Mädchen.
    Hunderte glatte, durchscheinende Kugeln harren der Ernte. Leuchtend rot sind sie, zart geädert und zum Platzen vollgestopft mit winzigen Samen, die ich zwischen den Schneidezähnen halbiere.
    Da sind wir also.
    Unter reingrünen, grobgesägten Schattenspendern.
    Durch Lücken im Blattwerk quetscht sich der stahlblaue Himmel.
    Wie Fische öffnen und schließen wir die verschmierten Münder. Der Bewegungsablauf ist stets der gleiche: Zunächst den im Nacken liegenden Kopf so anheben, dass die Rebe in den Mundschlund taucht. Ober- und Unterlippe schlagen hinter der letzten Beere zusammen. Dann, vorsichtig, den Hinterkopf zurück aufs Mulchkissen ablegen. Dabei mit den Zähnen kugelige Beute machen. Das Süße, Saure, Fruchtige vom Stängel trennen und mit nach unten ziehen.
    Manchmal, wenn die Johannisreihe zu lang geraten ist, muss man gegen die guten Sitten des Schlaraffenlands verstoßen und die Hände zu Hilfe nehmen.
    Unser System, zuerst, hellwach und mit scharf gespitzten Ohren, den Risikobereich Nachbargarten abzuernten, danach die Him- und Brombeeren im Grenzland und erst zuletzt die kümmerlichen Rötungen des eigenen Grund und Bodens, hat sich über die Jahre bewährt.
    Nur ein einziges Mal, mitten im schönsten Raubzug, tauchte der kahle, missvergnügte Anrainer zwischen den Büschen auf. In heller Panik flohen wir über Beete und Rasen und erreichten die schützende Küche, noch ehe er uns mit dem Spaten zu nahe treten konnte.
    Inzwischen sieht man den Alten nur noch selten. Vielleicht macht ihm sein Bein zu schaffen. Sein Hinken trug damals wesentlich zum Gelingen unserer Flucht bei ⁠…
    Aber da sich seine guten Eigenschaften – da sind JasminCelineJustine und ich uns einig – ohnehin auf den Besitz jener besonderen Sorte Johannisbeeren beschränken, die wir, in Unkenntnis des korrekten Namens und aufgrund ihrer besonders großen Früchte, »Riesen-Ribes« getauft haben, nehmen wir seine Abwesenheit weniger besorgt, als vielmehr mit gleichgültigem Schulterzucken zur Kenntnis. Uns fehlt , da wir vollauf mit uns selbst beschäftigt sind, einfach die Zeit, um uns um den Verbleib alter, kahler Kerle zu kümmern.
    Unsere unter der Sommersonne wachsenden Körper schicken uns pflücken. Ihr Energiebedarf scheint unendlich.
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