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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze
Autoren: Robert Spaemann
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Klimaänderungen und Festlandsüberflutungen, weltweite Strahlenschädigungen, Absterben der Pflanzendecke durch Übersäuerung des Bodens infolge des Chlor- und Schwefelgehalts der Luft usw.
    Der Ermessensspielraum, den wir uns in diesem Bereich zubilligen müssen, verschwindet, wo es sich um jenen Bereich der Wirklichkeit handelt, dem wir selbst angehören, den Bereich des Lebendigen. Da wir selbst keine natürlichen Arten neu schaffen können, haben wir die Pflicht, die natürlichen Arten in einer für die Arterhaltung erforderlichen Anzahl von Exemplaren weiterzugeben. Es gibt zwar ein natürliches Aussterben von Arten. Aber die Kapazität des Menschen, dieses Aussterben zu bewirken, ist so unverhältnismäßig und unbegrenzt, dass er nur dann verantwortlich handelt, wenn er sich als bewusster Beschützer der Natur versteht. Das ist die einzig mögliche Konsequenz aus seiner ambivalenten Lage, einerseits aufgrund seiner Instinktungebundenheit und Vernunft »über der Natur« zu stehen, andererseits aber doch natürliches Wesen und mit seiner Existenz an natürliche Voraussetzungen gebunden zu bleiben. Weder ist die Natur bloßes Ausbeutungsobjekt für den Menschen, noch ist der Mensch so Teil der Natur, dass er ungestraft und ohne Schaden für das Ganze seinen natürlichen Expansionsbedürfnissen einfach freien Lauf lassen dürfte. Der biblische Herrschaftsauftrag an die Menschen wird im Bericht der Genesis zunächst dadurch realisiert, dass der Mensch den Tieren Namen gibt. Die Namengebung hat eine doppelte Funktion: Einerseits macht sie das Benannte für den Menschen verfügbar. Andererseits aber unterscheidet sich Benennen vom bloßen Verwerten dadurch, dass das Benannte gerade in seinem Selbstsein bezeichnet wird. Man kann die Hegung der Natur anthropozentrisch verstehen. Der Mensch zerstört, wenn er die Natur zerstört, seine eigene Existenzgrundlage. Insofern geht es, wenn es um die Natur geht, stets um den Menschen. Dennoch, oder besser eben deshalb ist es notwendig, die anthropozentrische Perspektive heute zu verlassen. Denn solange der Mensch die Natur ausschließlich funktional auf seine Bedürfnisse hin interpretiert und seinen Schutz der Natur an diesem Gesichtspunkt ausrichtet, wird ersukzessive in der Zerstörung fortfahren. Er wird das Problem ständig als ein Problem der Güterabwägung behandeln und jeweils von der Natur nur das übriglassen, was bei einer solchen Abwägung im Augenblick noch ungeschoren davonkommt. Bei einer solchen fallweisen Güterabwägung wird der Anteil der Natur ständig verkürzt.
    Die Sprache des heutigen Umweltschutzes bleibt noch weitgehend in solchem Funktionalismus befangen: so zum Beispiel, wenn in ihr Natur nur als Träger von »Umweltqualitäten« vorkommt, die ihrerseits einzig durch den Bezug auf menschliche »Bedürfnisse« qualifiziert werden. Die hier vorgetragene Argumentation ist zwar selbst funktionalistisch. Argumente können überhaupt nur funktionalistisch sein.
    Die Frage ist nur, was ein rein argumentatives Denken leisten kann und was nicht. Es kann viel leisten. Das Maximum seiner Möglichkeiten hat schon Platon aufgewiesen: Es kann an seine eigene Grenze, das heißt an den Rand von Einsichten führen, die nicht mehr argumentativ, das heißt funktional herleitbar sind. Ein dem Wesen des Menschen gemäßer Funktionalismus kann zeigen, dass eine nichtfunktionale Ethik der dreifachen Ehrfurcht vor dem, was über uns, was unseresgleichen und was unter uns ist, auch unter Nützlichkeitsgesichtspunkten aufs Ganze und auf die Länge gesehen für den Menschen das Beste ist. Freilich hat man eine Ehrfurcht in dieser Weise noch nicht. Sie bedarf anderer als argumentativer Grundlegungen. Aber dass Nützlichkeit undabsolute Wertgesichtspunkte letztlich konvergieren, ist selbst Bestandteil eines sich nicht funktional begründenden Schöpfungsglaubens.
    Nur wenn der Mensch heute die anthropozentrische Perspektive überschreitet und den Reichtum des Lebendigen als einen Wert an sich zu respektieren lernt, nur in einem wie immer begründeten religiösen Verhältnis zur Natur wird er imstande sein, auf lange Sicht die Basis für eine menschenwürdige Existenz des Menschen zu sichern. Der anthropozentrische Funktionalismus zerstört am Ende den Menschen selbst.
    Wieweit eine solche Pflicht gegenüber der Natur um der Natur willen auch die anorganische Materie einschließt, muss hier offenbleiben. Auch hier gibt es so etwas wie ein Selbstsein der Natur, so etwas wie
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