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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer
Autoren: Maggie Stiefvater
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Werkstatt zu bringen.«
    Mom lachte aufgekratzt und klatschte noch einmal in die Hände. Tanzend verschwand sie in der Küche und trällerte dabei irgendein Nonsenslied vor sich hin. Wenn sie wirklich das Atelier in der Stadt mietete, würde ich meine Eltern wahrscheinlich beide nicht mehr zu Gesicht bekommen. Na ja, außer zum Abendessen. Zur Nahrungsaufnahme tauchten sie in der Regel wieder auf.
    Aber das war im Moment unwichtig, verglichen mit der Aussicht auf ein verlässliches Transportmittel. »Echt? Ein eigenes Auto? Eins, das auch fährt, meine ich?«
    »Eins, das nicht ganz so klapprig ist«, versprach mein Vater. »Nichts Großartiges.«
    Ich fiel ihm in die Arme. Ein solches Auto bedeutete Freiheit.
    In dieser Nacht lag ich mit fest zugekniffenen Augen im Bett und versuchte zu schlafen. Die Welt vor meinem Fenster wirkte so still, als hätte es geschneit. Für Schnee war es noch viel zu früh, aber jedes Geräusch klang gedämpft. Zu leise.
    Ich hielt den Atem an und konzentrierte mich auf die Nacht, lauschte auf Bewegungen in der reglosen Dunkelheit.
    Langsam drang ein schwaches Kratzen durch die Stille in mein Bewusstsein - wie Krallen, die über den Holzboden der Veranda schabten. War da ein Wolf vor meinem Fenster? Vielleicht war es ja auch ein Waschbär. Wieder hörte ich das leise Scharren und dann ein Knurren. Mit Sicherheit kein Waschbär. Ich fühlte, wie meine Nackenhaare sich aufrichteten.
    Ich schlang mir die Decke um die Schultern, kroch aus dem Bett und tappte über die halbmondbeschienenen Dielen. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich das Geräusch nicht doch geträumt hatte, aber da hörte ich vor dem Fenster wieder dieses Klackklackklack. Ich zog das Rollo hoch und spähte hinaus auf die Veranda. Der Garten vor meinem Zimmerfenster war leer. Die kahlen schwarzen Baumstämme ragten wie ein Zaun zwischen mir und dem tiefen Wald auf.
    Plötzlich erschien ein Gesicht direkt vor meinem und ich fuhr überrascht zurück. Auf der anderen Seite der Scheibe stand die weiße Wölfin, die Pfoten auf der Fensterbank. Sie war so nah, dass ich die Feuchtigkeit in ihrem gesträubten Pelz sehen konnte. Mit saphirblauen Augen starrte sie mich herausfordernd an, versuchte, mich zum Wegsehen zu zwingen. Durch das Glas drang ein tiefes Grollen, dessen Bedeutung mir so klar war, als stünden die Worte auf der Scheibe geschrieben. Er ist nicht dein Beschützer.
    Ich starrte zurück. Ohne darüber nachzudenken, fletschte ich unvermittelt die Zähne. Das Knurren, das mir entwich, überraschte uns beide, und sie nahm die Pfoten von der Fensterbank. Sie warf mir noch einen wütenden Blick über die Schulter zu und pinkelte demonstrativ an die Verandaecke, bevor sie zurück in den Wald preschte.
    Ich biss mir auf die Lippe, um das ungewohnte Zähnefletschen loszuwerden, hob meinen Pulli vom Boden auf und kletterte wieder ins Bett. Das Kissen schob ich zur Seite und knautschte stattdessen den Pullover zusammen, um mich daraufzulegen.
    Mit dem Geruch meines Wolfs in der Nase schlief ich ein. Dem Duft von Kiefernnadeln, kaltem Regen und Erde. An meinem Gesicht spürte ich sein drahtiges Fell.
    Beinahe, als wäre er da.

  Kapitel 7 - Sam (6°C)
    I ch konnte sie noch immer in meinem Pelz riechen. Der Geruch haftete an mir wie eine Erinnerung an eine andere Welt. Ich war wie berauscht von ihr, von ihrem Duft. Ich war ihr zu nah gekommen. Jeder Instinkt rebellierte dagegen. Besonders, wenn ich daran dachte, was gerade mit dem Jungen geschehen war.
    Dieser Geruch nach Sommer auf ihrer Haut, der vage vertraute Rhythmus ihrer Stimme, das Gefühl ihrer Hände in meinem Fell. Die Erinnerung an ihre Nähe klang in jeder Faser von mir nach. Zu nah.
    Ich konnte nicht anders.

  Kapitel 8 - Grace (18°C)
    I n der nächsten Woche konnte ich mich kaum auf die Schule konzentrieren, die Stunden glitten an mir vorbei und ich schrieb kaum mit. Die ganze Zeit musste ich daran denken, wie sich das Fell meines Wolfs unter meinen Händen angefühlt hatte, und auch das Bild der knurrenden weißen Wölfin vor meinem Fenster ging mir nicht aus dem Kopf. Doch ich erwachte abrupt aus meinen Träumereien, als Mrs Ruminski, unsere Berufskundelehrerin, einen Polizisten in unser Klassenzimmer führte.
    Sie ließ ihn allein vorne stehen, was ich ziemlich grausam von ihr fand, wenn man bedachte, dass es die siebte Stunde für heute war und die meisten von uns nur noch ungeduldig darauf warteten, endlich die Flucht ergreifen zu können.
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