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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer
Autoren: Maggie Stiefvater
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hilflos und man hörte fast ein Fragezeichen am Ende seines Satzes.
    »Officer«, beharrte Mrs Ruminski, »wir alle haben Jack sehr gemocht.«
    Was eine glatte Lüge war. Aber Jacks Tod hatte sich äußerst positiv auf seinen Ruf ausgewirkt. Offenbar waren alle anderen nur zu bereit, seine Wutausbrüche mitten auf dem Flur oder sogar während des Unterrichts zu vergessen. Und wie schlimm diese Ausbrüche gewesen waren. Ich hatte sie nicht vergessen. In Mercy Falls gab es seit jeher viel Klatsch und Tratsch, und über Jack wurde gesagt, er habe sein aufbrausendes Wesen von seinem Vater. Dazu konnte ich nichts sagen. Aber ich fand sowieso, man sollte selbst die Verantwortung dafür übernehmen, was für ein Mensch man war, und es nicht auf seine Eltern schieben.
    »Wir trauern immer noch um ihn«, fuhr Mrs Ruminski fort und deutete auf das Meer von Schwarz im Klassenraum. »Hier geht es doch nicht um Ermittlungen. Es geht darum, einer eng verbundenen Schulfamilie ihren Frieden wiederzugeben.«
    Olivia drehte sich zu mir um und formte mit dem Mund die Worte »Oh mein Gott«. Ich schüttelte nur den Kopf. Unglaublich.
    Officer Koenig verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte damit ein bisschen wie ein trotziges Kind, das man zu irgendetwas zwingen wollte. »Es stimmt. Und wir gehen dem ja auch nach. Ich verstehe, dass es für die Gemeinschaft ziemlich schwer ist, wenn ein so junger Mensch« - und das von jemandem, der selbst wie gerade mal zwanzig aussah - »stirbt, aber ich möchte Sie alle bitten, der
    Familie ihre Privatsphäre zu lassen und die Vertraulichkeit der Ermittlungen zu respektieren.«
    Langsam bekam er wieder Boden unter die Füße.
    Da schoss Elizabeths Hand erneut nach oben. »Glauben Sie, dass die Wölfe gefährlich sind? Bekommen Sie deswegen viele Anrufe? Also, meine Mutter sagt das jedenfalls.«
    Officer Koenig sah kurz zu Mrs Ruminski hinüber, aber mittlerweile hätte er sich eigentlich denken können, dass sie genauso gespannt auf seine Antwort war wie Elizabeth. »Ich glaube nicht, dass die Wölfe eine Bedrohung für die Bevölkerung darstellen, nein. Ich bin - wie auch meine Kollegen - davon überzeugt, dass es sich hier um einen Einzelfall handelt, der sich nicht wiederholen wird.«
    »Aber sie wurde doch auch angegriffen«, rief Elizabeth.
    Na toll. Ich musste nicht mal aufsehen, um zu wissen, auf wen Elizabeth zeigte, denn alle Gesichter hatten sich mir zugewandt. Ich biss mir auf die Lippe. Nicht weil ich es schlimm fand, im Mittelpunkt zu stehen, sondern weil jedes Mal, wenn wieder jemandem einfiel, dass die Wölfe mich von der Schaukel gezerrt hatten, alle gleich davor warnten, dass sich das wiederholen könnte. Und ich fragte mich, wie vielen anderen das noch passieren durfte, bevor sie anfingen, die Wölfe zu jagen.
    Meinen Wolf zu jagen.
    Ich wusste, das war der wahre Grund, aus dem ich Jack nicht für seinen Tod vergeben konnte. Außerdem hatte ich Jacks Verhalten an der Schule nicht vergessen, und deswegen hätte ich mich wie eine Heuchlerin gefühlt, wenn ich zusammen mit dem Rest der Schule öffentlich um ihn getrauert hätte. Aber es komplett zu ignorieren, war irgendwie auch nicht richtig; ich wusste einfach nicht, wie ich mich fühlen sollte.
    »Das ist schon lange her«, erklärte ich Officer Koenig, und er sah erleichtert aus, als ich fortfuhr: »Jahre. Und es könnten auch Hunde gewesen sein.«
    Ich log. Aber wer sollte mir auch widersprechen?
    »Na also«, bekräftigte Officer Koenig. »Es wäre falsch, wilde Tiere wegen eines solchen Ausnahmefalls gleich zu verteufeln. Und auch unnötig, Panik heraufzubeschwören. Panik führt zu Fahrlässigkeit und durch Fahrlässigkeit entstehen Unfälle.«
    Ganz meine Meinung. Plötzlich fühlte ich einen Hauch von Sympathie für den stocksteifen Officer Koenig, der nun die Unterhaltung wieder auf die Karrierechancen bei der Polizei lenkte. Als die Stunde vorbei war, fingen ein paar der anderen wieder an, über Jack zu reden. Olivia und ich flüchteten zu unseren Spinden.
    Jemand zog mich an den Haaren und ich guckte mich um. Rachel stand hinter mir und sah Olivia und mich todunglücklich an. »Mädels, ich muss unsere Urlaubsplanungen heute leider noch mal verschieben. Mein Stiefmonster hat für heute einen Familienbindungsausflug nach Duluth beantragt. Also, wenn die will, dass ich Mom zu ihr sage, muss da aber mindestens ein Paar neue Schuhe für mich drin sein. Können wir uns morgen treffen oder so?«
    Ich hatte kaum genickt,
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