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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer
Autoren: Maggie Stiefvater
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als Rachel uns auch schon ein strahlendes Lächeln schenkte und über den Flur davonfegte.
    »Wie wär's, wenn wir uns dann bei mir treffen?«, fragte ich Olivia. Irgendwie fühlte es sich immer noch seltsam an, sie das zu fragen. Vor ein paar Jahren noch hatten sie, Rachel und ich wie selbstverständlich jeden Tag zusammen verbracht. Das hatte sich geändert, als Rachel ihren ersten Freund hatte und Olivia und ich, die Streberin und die Desinteressierte, übrig blieben. Seitdem hatte unsere unbeschwerte Freundschaft einen Knacks.
    »Klar«, sagte Olivia. Sie schnappte sich ihre Sachen und folgte mir den Flur hinunter. Plötzlich kniff sie mir in den Arm. »Guck mal.«
    Sie deutete auf Isabel, Jacks jüngere Schwester, die in unserem Jahrgang war und beinahe schon eine Überdosis von dem guten Aussehen der Culpepers abbekommen hatte - komplett mit blonden Locken und Engelsgesicht. Sie fuhr einen weißen Geländewagen und schleppte einen von diesen Handtaschen-Chihuahuas mit sich rum, den sie auch noch passend zu ihren eigenen Outfits kleidete. Ich fragte mich immer, wann sie wohl merken würde, dass sie in Mercy Falls, Minnesota, lebte, wo so was einfach kein Mensch machte.
    Isabel starrte in ihren Spind, als wäre er das Tor zu einer anderen Welt.
    »Sie trägt ja gar kein Schwarz«, fiel Olivia auf. In dem Moment erwachte Isabel aus ihrer Trance und sah uns böse an, als hätte sie gemerkt, dass wir über sie redeten. Schnell sah ich zur Seite, doch ich spürte weiterhin ihren Blick auf mir.
    »Vielleicht trauert sie ja nicht mehr«, vermutete ich, sobald wir außer Hörweite waren.
    Olivia hielt mir die Tür auf. »Vielleicht ist sie auch die Einzige, die überhaupt jemals um ihn getrauert hat.«
    Als wir bei mir zu Hause ankamen, machte ich uns Kaffee und Cranberrymuffins. Dann setzten wir uns an den Küchentisch und sahen uns im gelben Licht der Deckenlampe einen Stapel von Olivias neuesten Fotos an. Fotografieren war Olivias Religion; sie verehrte ihre Kamera und studierte die Techniken in ihren Handbüchern wie Gebote. Wenn ich ihre Fotos ansah, war ich jedes Mal kurz davor, ebenfalls zur Gläubigen zu werden. Bei ihren Bildern hatte man immer das Gefühl, man wäre mittendrin.
    »Er war süß. Erzähl mir nicht, dass du ihn nicht süß fandest«, sagte sie.
    »Redest du etwa immer noch von Officer Ich-geh-zum-Lachen-in-den-Keller? Was ist denn los mit dir?« Ich schüttelte den Kopf und blätterte weiter zum nächsten Foto. »Ich hab noch nie erlebt, dass du von einem echten Menschen besessen warst.«
    Olivia grinste und lehnte sich über ihre dampfende Tasse zu mir herüber. Sie biss in einen Muffin und hielt sich beim Sprechen die Hand vor den Mund, um mir keine Krümel ins Gesicht zu pusten. »Ich glaube, ich werde so eine, die auf Typen in Uniform steht. Ach komm, fandest du ihn etwa nicht süß? Ich hab ... ich hab irgendwie das Gefühl, ich brauche einen Freund. Wir sollten in nächster Zeit mal Pizza bestellen. Rachel meinte, die hätten einen echt niedlichen Lieferanten.«
    Wieder verdrehte ich die Augen. »Seit wann willst du denn einen Freund?«
    Olivia sah nicht von den Fotos auf, aber ich hatte das Gefühl, dass sie ganz genau hinhörte. »Du etwa nicht?«
    »Wenn irgendwann der Richtige kommt, schon.«
    »Und wie willst du den finden, wenn du nicht suchst?«
    »Als ob du dich jemals getraut hättest, einen Typen anzusprechen. Außer deinem James Dean auf dem Poster natürlich.« Meine Stimme klang gereizter, als ich beabsichtigt hatte; ich schob noch ein kleines Lachen hinterher, um den Effekt ein wenig abzuschwächen. Olivia zog die Stirn kraus, aber sie sagte nichts. Eine Zeit lang saßen wir schweigend da und blätterten weiter durch ihre Fotos.
    Bei einer Nahaufnahme von Olivia, Rachel und mir stockte ich; Olivias Mutter hatte das Foto aufgenommen, kurz bevor die Schule wieder anfing. Auf Rachels sommersprossigem Gesicht lag ein übermütiges Grinsen, sie hatte einen Arm um Olivias und einen um meine Schultern geschlungen, und es sah aus, als wollte sie uns unbedingt mit in den Rahmen quetschen. Wie immer war sie der Leim,
    der unser Trio zusammenhielt: die Aufgeschlossene, die dafür sorgte, dass wir Stillen über die Jahre aneinanderhafteten.
    Olivia sah auf dem Foto mit ihrer gebräunten Haut und den leuchtend grünen Augen aus wie der Sommer selbst. Ihr Mund formte ein perfektes Fotolächeln, mit blitzenden Zähnen und Grübchen. Ich selbst wirkte neben den beiden wie der personifizierte
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