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Nach all diesen Jahren

Nach all diesen Jahren

Titel: Nach all diesen Jahren
Autoren: Cathy Williams
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kennenzulernen. Jemanden, der keine Angst hat, sich auf einen anderen Menschen einzulassen.“ Ihre Beine gaben fast unter ihr nach, als sie aufstand. „Die Aussicht, meine Zeit an dich zu verschwenden, weil das ja nicht dein Ding ist, wäre tatsächlich schrecklich.“
    Raoul biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Aber was sollte er ihren Worten hinzufügen?
    „Ach … und übrigens“, fuhr sie im Weggehen über die Schulter fort, „ich stelle deine Kleider und Koffer vor die Tür. Heute Nacht werde ich allein schlafen. Du brauchst ja deine kostbare Freiheit! Freu dich: Jetzt hast du sie.“
    Hocherhobenen Kopfes stolzierte sie davon. Der Weg zum Haus dauerte endlos, zumindest kam es ihr so vor.
    Vor ihrem geistigen Auge zogen Bilder ihrer gemeinsamen Zeit vorüber wie bei einer Diashow. Allein bei dem Gedanken überlief sie eine Gänsehaut. Schützend schlang sie die Arme um sich und eilte die Treppe zur Haustür hinauf.
    In ihrem Zimmer sammelte sie Raouls Kleider ein. Sie barg ihren Kopf darin und erlaubte sich noch einmal, seinen herben männlichen Geruch zu atmen. Dann stellte sie – wie angedroht – alles vor die Tür.
    Bevor sie ins Bett ging, drehte sie den Schlüssel zweimal um und fragte sich, wie sie in einer Welt weiterleben sollte, in der es Raoul nicht mehr gab.

1. KAPITEL
    Sarah kniete am Boden und rieb an einem besonders hartnäckigen Fleck herum. Der cremefarbene Teppich, der sich über die gesamte Direktionsetage erstreckte, zog Schmutz wie ein Magnet an. Plötzlich erstarrte sie. Aus einem der Büros drangen Stimmen. Offensichtlich kein Geschäftstermin, es schien sich eher um eine private Unterhaltung zu handeln – zwischen einem Mann und einer Frau.
    In den drei Wochen, die Sarah in dieser elitären Privatbank eingesetzt war, geschah das zum ersten Mal. Ihre Schicht begann um neun Uhr abends. Sie putzte und ging. Und so war es ihr am liebsten. Sie arbeitete am liebsten außerhalb der Bürozeiten. Normalerweise sprach niemand sie an. Als Putzfrau war man automatisch unsichtbar. Selbst der Portier blickte kaum auf, wenn sie ihren Dienst antrat.
    Wann hatte ihr eigentlich zum letzten Mal ein Mann bewundernde Blicke zugeworfen? Sie konnte sich kaum erinnern. Die Bürde der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, und der chronische Geldmangel hatten die jugendliche Frische endgültig aus ihrem Gesicht vertrieben. Im Spiegel sah sie eine Frau von Mitte zwanzig, blass und mit dunklen Ringen unter den Augen.
    Im Moment war allerdings ihre größte Sorge, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Gab es eine „Putzfrauenetikette“ für eine derartige Situation? Sie beschloss, einfach weiterzumachen.
    Als die Stimmen näherkamen, rieb sie noch heftiger an dem Fleck. Zu ihrem Entsetzen verstummte das Gespräch plötzlich, und auch das Geräusch der Schritte erstarb – und zwar direkt vor ihr.
    Aus den Augenwinkeln erblickte sie ein Paar handgefertigter, italienischer Schuhe und dreißig Zentimeter anthrazitfarbener Hosenbeine mit scharfen Bügelfalten. Daneben ein Paar sehr, sehr hoher, elfenbeinfarbener Stilettos und schmale Fesseln, die in teuren Seidenstrümpfen steckten.
    „Ich weiß nicht, ob Sie den Konferenzraum schon geputzt haben. Wenn ja, dann nur sehr oberflächlich. Auf der Tischplatte sind noch Glasränder, und im Regal stehen zwei Champagnergläser!“
    Der Ton der Frau war kalt und unglaublich arrogant. Widerstrebend hob Sarah den Blick. Vor ihr stand eine hochgewachsene Frau, Mitte dreißig und mit der Figur eines Models. Hinter sich hörte Sarah, wie der Mann den Liftknopf betätigte.
    „Den Konferenzraum habe ich noch nicht geputzt“, murmelte sie. Hoffentlich beschwert sie sich nicht! Ich brauche diese Stelle! Die Arbeitszeiten waren günstig, und sie wurde gut bezahlt – sogar das Taxigeld erstattete man ihr. Wie viele Jobs gab es schon, die das boten!
    „Da bin ich beruhigt“, kam die schneidende Antwort.
    „Louisa, lass doch bitte die Frau in Ruhe arbeiten! Es ist schon fast zehn, und ich würde jetzt gern gehen.“
    Diese Stimme! Das war die Stimme, die Sarah seit fünf Jahren verfolgte. Einen Moment lang setzte ihr Herzschlag aus. Ihre Gedanken überschlugen sich. Das ist unmöglich! Es kann nicht sein! Auf gar keinen Fall ist das Raoul Sinclair! Und doch …
    Wie in Zeitlupe stand Sarah auf und drehte sich um. Und plötzlich stand die Zeit still. Sie blickte in die Augen des Mannes, in diese dunklen, an bittersüße Schokolade
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