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N. P.

N. P.

Titel: N. P.
Autoren: Banana Yoshimoto
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zwischen den Vorhängen hereinfiel, auf den Lidern – wie im Sommer am Meer. Als läge ich am Strand unter der Sonne. Es rauschen die Wellen, und heißer Wind streicht mir übers Gesicht. Ich schlief wieder ein.
    Überall war noch der Sommer zu spüren.
     
    Als ich aufwachte, wurde es bereits Abend, und die Sonne schien golden. Der Himmel kurz vor der Dunkelheit: Abenddämmerung in Reinkultur. In genau umgekehrter Reihenfolge zum Tagesanbruch gehen die Farben ineinander über.
    Mit einem Schlage befreit vom Streß der letzten Zeit, fühlte ich mich irgendwie leer. Eine angenehme Leere. Ich muß jetzt etwas tun, dachte ich. Das war klar, absolut. Ich entschloß mich wegzufahren, es mußte ja nicht soweit sein wie New York. Außerdem brauchte ich jetzt nicht mehr auf schlechte Nachrichten über Sui zu warten, oder darauf, daß sie plötzlich vorbeikam. – Wenigstens einmal im Sommer muß man einfach am Meer gewesen sein!
    Ich packte so viele Sachen ein, daß es für einige Tage reichte. Auch die kleine Holzkiste. Ich hatte schon vorher überlegt, ob ich sie nicht irgendwo begraben sollte. Falls Sui sich wirklich umgebracht hätte, wäre dieses Kistchen und der Rock, den sie mir damals geliehen hatte, ihr Vermächtnis gewesen. Ich bin der geborene Vermächtnissammler! Aber das brauchte ich jetzt nicht mehr zu befürchten. Ich dachte an meine Shorts, die wohl immer noch bei Sui auf der Leine hingen. Komisch fand ich das und gleichzeitig traurig – eine seltsame Mischung. Nach ein paar Monaten würden sie wohl zusammen mit Suis Sachen amtlich entsorgt werden.
    Als ich Shōjis Knochen in die Reisetasche packte, klapperte es. Das Geräusch klang noch eine Weile in meinen Ohren nach, wie wenn man sehnsüchtig an Meeresrauschen denkt. Ich erinnerte mich an seine breiten Schultern, die genau die richtige Form für meinen Kopf hatten, wenn ich mich im Auto an ihn lehnte. Nicht an sein Gesicht, nur an seine Schultern und an die Hände, wie sie das Lenkrad hielten. Daß sich darunter etwas verborgen hatte, was jetzt hier in dem Kistchen lag! Und daß nur das übrigbleibt, wenn man stirbt!
    Ein Glück, daß Sui nicht tot war.

 
     
     
    I ch duschte und machte mich mit noch feuchten Haaren auf den Weg. Die Spätnachmittagssonne, die abendlichen Duft verströmte, warf klares Licht auf die Straßen. In den Gäßchen sah man die hellen Schatten der Topfpflanzen, die vor den Häusern standen.
    Unwillkürlich mußte ich daran denken, wie ich Saki im Hochsommer zum ersten Mal besucht hatte. Es kam mir vor, als wäre es ganz, ganz lange her. Eine friedvolle Erinnerung. Plötzlich kam mir der Gedanke, bei Otohiko vorbeizuschauen. Es wäre zu gemein, wenn ihn jetzt alle im Stich ließen. Der Brief (offenbar kürzer angebunden als der, den ich bekommen hatte) mußte schon bei ihm angekommen sein. Er würde mich bestimmt anrufen. Weil ich ganz auf den Gedanken fixiert gewesen war zu verreisen, hatte ich daran überhaupt nicht mehr gedacht. Suis Brief an mich hatte ich nicht dabei. Aber es war ihr gegenüber sowieso fairer, ihn Otohiko nicht zu zeigen.
    Ich war vor seiner Wohnung angekommen und drückte auf den Klingelknopf. Otohiko erschien sofort in der Tür.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Komm rein«, sagte er. Plötzlich spürte ich eine unglaubliche Sehnsucht und Vertrautheit. So muß einem zumute sein, wenn man einen alten Kriegskameraden wiedersieht, dachte ich. Wie soll ich sagen – wir hatten ja nur ganz kurze Zeit miteinander zu tun gehabt, aber das Gefühl, etwas ganz intensiv erlebt zu haben, war fest mit der Bitterkeit verknüpft, es für immer verloren zu haben. Zu traurig, daß dieser Sommer zu Ende ging! Jeder Tag war so dicht vollgepackt gewesen, ganz wie der Sommer einer Achtzehnjährigen. Ich nickte und trat ein.
    »Saki ist nicht da. Sie ist verreist«, sagte Otohiko, während er Kaffee aufgoß.
    »Ich weiß. Sie hat mich angerufen«, sagte ich. Sakis Wohnbereich war so tadellos aufgeräumt, daß er verlassen wirkte. Ich bekam wieder meine Befürchtungen.
    »Sui hat sich gemeldet. Bei dir auch?«
    Ich nickte.
    »Ein Glück, daß sie lebt. Wirklich«, sagte er. Er schien völlig fertig mit der Welt.
    »Ich bin auch so froh«, sagte ich. Wieviel hatte er wohl aus ihrem Brief erfahren? Aus Furcht, zuviel zu verraten, sprach ich gar nicht davon. Entweder hatte Sui ihm eine Menge Lügen aufgetischt oder aber die ganze Wahrheit gesagt. Doch es war eigentlich egal; nachdem sie sich entschieden hatte, blieb ihm in jedem Fall
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