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N. P.

N. P.

Titel: N. P.
Autoren: Banana Yoshimoto
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Flammen. Es war zwar kein besonders prächtiges Lagerfeuer, aber immerhin, sein Knistern übertönte das Rauschen der Wellen und störte die Finsternis.
    »Ich könnte dem Feuer stundenlang zusehen, ohne genug zu kriegen.«
    »Hm.«
    Die glänzend glatte Fläche des Meeres wirkte wie ein leise bebendes schwarzes Tuch – aufgespannt als Bühnenkulisse. Die Fuge zwischen Meer und dem farblich fein dazu abgestuften Himmel war so unregelmäßig flatterig wie eine Patchwork-Naht.
    Ich kramte in meiner Tasche nach dem Holzkistchen, holte es heraus und warf es in die Flammen.
    Für kurze Zeit brannte es lichterloh, ehe es völlig verschwand – sein Rauch hatte sich mit dem Seewind vermischt, ohne auch nur die Spur eines Geruchs zu verbreiten, den ich, ehrlich gesagt, ein wenig befürchtet hatte. Ein Ort wie dieser hier war jedenfalls einem Krematorium eindeutig überlegen. Absolut.
    »Mir ist richtig feierlich zumute.«
    Ja wußte er denn, was ich da eben in die Flammen geworfen hatte? Ich fragte ihn.
    »Na, den Knochen«, sagte er, ohne mich anzuschauen.
    Ich faltete die Hände zum Gebet in Richtung Feuer. »Es gibt wohl nichts, was du nicht weißt!«
    »Sie mußte immer alles erzählen. Die schrecklichen und die vollkommen unwichtigen Sachen, alles. Deshalb. … Obwohl, in ihrem Brief hat sie sich unheimlich angestrengt, sich direkt um Stil bemüht.«
    »Ah.«
    Er verstand sie, sie verstand ihn. Trotzdem, sie waren nicht mehr zusammen. Da war nichts mehr zu machen. Die Entscheidung pulsierte in ihrer, in seiner Brust – wie immer und immer wieder an den Strand schlagende Wellen.
    »Es ist mir zwar peinlich, aber ich hab auch was mitgebracht«, sagte Otohiko, kramte in seiner Tasche und zog einen Packen dünnen Schreibmaschinenpapiers heraus.
    »Was ist denn das?« fragte ich erstaunt.
    »Die neunundneunzigste Erzählung von meinem Vater.« Blatt für Blatt überließ er sie den Flammen. Jedes einzelne Papier kräuselte sich und tanzte mit dem Feuer, ehe es verbrannte.
    »Hast du sie von ihm selbst bekommen?«
    »Ja. Kurz bevor er starb, hat er sie mir anonym zugeschickt. Ich zeigte sie Mutter und sie sagte, ich müßte sie behalten.«
    »Und was war dann das, was Sui hatte?«
    »Du meinst das, was sie Saki geschickt hat? Dieselbe Erzählung, der Inhalt ist identisch, nur daß es Suis Schrift ist. Sie wird sie wohl abgeschrieben haben, als Vater schlief oder so.«
    »So was …!« In Gedanken kehrte ich zu dem Abend mit Sui zurück, als sie mir das Manuskript gezeigt hatte.
    »Hat sie dir das nicht erzählt?«
    »Und du, hast du ihr nicht gesagt, daß du diese Erzählung auch besitzt?«
    »Das konnte ich doch unmöglich!«
    »Und Saki?«
    »Auch nicht. Wenn sie sie selbst jemandem gezeigt hat, dann war das okay, aber zu wissen, daß noch jemand diese Erzählung besitzt, und dazu noch einer von uns beiden, Saki oder ich, das wäre wirklich zu schlimm für sie gewesen, glaube ich. Es bedeutete für sie praktisch das einzige Andenken an Vater, das nur sie besaß.«
    »Das hast du also gewußt.« Ich sah die Szene vor mir, Sui, noch ein Teenager, wie sie im Dunkeln dasitzt und das Manuskript ihres Vaters abschreibt. Die Blätter waren rasch zu federleichten schwarzen Knäueln verbrannt, die vom Wind getrieben über den Strand rollten.
    »Wo wir schon mal dabei sind, sag ich dir gleich alles. Du hast doch das Ende der achtundneunzigsten Erzählung so gelobt? – Diesen Teil hab ich geschrieben.«
    »Waas?« Ich war eine Weile sprachlos. »Wie denn das?«
    »Die achtundneunzigste befand sich bei uns zu Hause, sie war unvollendet geblieben. Sui wollte sie unbedingt lesen. Das war, als ich sie gerade kennengelernt hatte. Und da hab ich das Manuskript heimlich an mich genommen. Die Erzählung handelte zwar von Sui, doch das Ende fehlte, wahrscheinlich weil Vater sich noch nicht im klaren darüber war, wie er es gestalten sollte. Das tat mir so leid für Sui, außerdem wußte ich zu dem Zeitpunkt schon, daß sie die neunundneunzigste Erzählung besaß. Sie hatte gerade ihre Mutter, die einfach verschwunden war, für immer abgeschrieben und war mit der Unterstützung von Verwandten nach Japan gekommen, aber es ging ihr nicht besonders gut. Also hab ich das Ende einfach selbst dazugeschrieben. Und Sui hatte dann nichts Besseres zu tun, als das Manuskript Shōji zu geben! Nur die achtundneunzigste. – Das ist die ganze Geschichte.«
    Ich schwieg.
    »Aber das ist alles Vergangenheit, vorbei«, sagte er. »So, wollen wir nicht ein
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