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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung
Autoren: Doug Sounders
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figurbetonte Polizeiuniform aus Lycra an, die er mit obsessiver Freude eigenhändig geschneidert hatte, machte seine Waffen einsatzbereit, setzte sich in einen gemi eteten VW-Bus und fuhr umsichtig zum zentralen Regierungsgebäude in Oslo. Die Wachleute sahen die Polizeiuniform und beachteten den kastenförmigen Wagen kaum, der da im vorderen Hof abgestellt wurde. Breivik war fünf Minuten zu Fuß gegangen und mehrere Häuserblocks entfernt, als der Zünder die Sprengkapsel hochgehen ließ. Als ihn die Druckwelle erreichte, drehte er sich nicht um, hielt auch nicht inne, sondern ging zügig zu einem Fiat-Lieferwagen, den er am Vortag in der Innenstadt geparkt hatte, und machte sich auf den Weg zur Insel Utøya im Tyrifjord, einem der größten norwegischen Binnenseen unweit von Oslo. Dutzende von Rettungs- und Polizeifahrzeugen kamen ihm entgegen, als er die Stadt in westlicher Richtung verließ. Die Retter kümmerten sich um die Toten und Verletzten und sicherten die durch die Bombe beschädigten Gebäude. Dies geschah mitten in den Sommerferien, zu einer Zeit, in der die meisten Bewohner die Hauptstadt verlassen, deshalb war sich Breivik sicher, dass die Not- und Rettungsdienste unterbesetzt und nicht in der Lage sein würden, auf eine weitere Krisensituation rasch zu reagieren. Das gehörte zu seinem Plan.
    Eine Stunde später, an Bord der Fähre nach Utøya, zeigte er ein gefälschtes Polizeiabzeichen vor und erklärte, man habe ihn auf die Insel geschickt, um die dort im Jugend-Sommerlager der regierenden Sozialdemokratischen Partei versammelten Teenager und jungen Erwachsenen über die Tragödie zu informieren, die sich an diesem Nachmittag in Oslo abgespielt habe. Viele Teilnehmer dieses Ferienlagers hatten Familienangehörige und Freunde, die in dem Regierungsgebäude arbeiteten, also klang das wie eine plausible Erklärung, auch wenn die Uniform dieses Mannes ein bisschen zu extravagant war und sein Auftreten allzu nervös wirkte.
    Breivik betrat die winzige Insel und marschierte entschlossen durch den leichten Nieselregen in Richtung des Klubhauses, wo 200 Kinder und Jugendliche darauf warteten, dass der Regen aufhörte. Auf dem Rasen vor dem Haus rief er: »Kommt alle raus. Ich habe eine wichtige Nachricht zu dem Bombenanschlag von heute Nachmittag.« Als die Menschen dieser Aufforderung nachkamen und aus dem Haus traten, eröffnete er das Feuer. Sein erstes Opfer war die 45-jährige Mutter zweier Kinder, die ihm den Weg vom Bootsanleger zum Klubhaus gezeigt hatte, und dann tötete er Dutzende junger Freizeitteilnehmer. Als sich die Men schen ins Haus flüchteten, warf er Rauchbomben, um sie wieder herauszutreiben, und schoss weiter. Dann ging er um das Haus herum zum Zeltlager, durchsuchte systematisch ein Zelt nach dem anderen und schoss auf alle Jugendlichen, die er dort entdeckte. Anschließend ging er den Uferpfad am anderen Ende der Insel ab und schoss in die Gruppen fliehender Jugendlicher hinein. Viele sprangen von Felsen, um ihm zu entkommen, einige landeten im eiskalten Wasser, schwammen oder duckten sich in Höhlen, andere wurden beim Sturz auf das felsige Ufer zerschmettert. Breivik schoss mit einem Schnellfeuergewehr ins Wasser, um die Schwimmer zu töten, und jagte die Teenager, die sich am Strand verbargen. Einmal lief eine Gruppe von Jugend lichen auf ihn zu im Glauben, ein Polizist sei gekommen, um sie vor dem Amokschützen zu retten. Er schoss sie nieder, und ihre entsetzten Freunde mussten das aus ihren Verstecken mit ansehen.
    Breiviks Massaker dauerte fast 90 Minuten, bis er schließ lich mit seinem Handy den Polizeinotruf wählte und erklärte, er werde sich jetzt ergeben. Auf der Insel Utøya starben 69 Menschen, die jüngsten von ihnen waren erst 14 Jahre alt. Die Autobombe in Oslo tötete weitere acht Menschen. Über 150 Menschen wurden schwer verletzt. Innerhalb weniger Stunden nach Bekanntwerden des Attentats kursierten bereits Kopien seines 1518-Seiten-Traktats im Internet. Ich erhielt mein Exemplar von einem Mitglied seiner Facebook-Liste bei meiner Ankunft in Oslo. Mir ging es wie vielen anderen Menschen auch, der Titel verwirrte mich zunächst: 2083: A European Declaration of Independence (2083: Eine euro päische Unabhängigkeitserklärung) . 1 Ich musste mich durch Hunderte von Seiten arbeiten, bis ich schließlich auf die detaillierte Erklärung stieß. Breivik teilte die gängige falsche Vorstellung, die Muslime würden eines Tages die Bevölkerungsmehrheit in Europa
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