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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung
Autoren: Doug Sounders
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Identität?
    Dieses Buch verfolgt nicht die Absicht, die Bedeutung der gefährlichen politischen, militanten und terroristischen Bewegungen herunterzuspielen, die sich während der letzten Jahrzehnte in manchen muslimischen Gemeinden explosiv entwickelt haben. Ich hoffe vielmehr zeigen zu können, dass diese Bewegungen klar umrissene und beunruhigende Pro dukte bestimmter politischer Begleitumstände sind und nicht unvermeidliche, natürliche Auswüchse der konventionellen islamischen Kultur – so wenig wie terroristische und religiös- extremistische Bewegungen in westlichen Kulturen Auswüchse des Alltagsdenkens gewesen sind.
    Mein Leben und meine Arbeit haben mich dieser Gewalt zu nahe gebracht, um sie ohne Weiteres abtun zu können. Zum Zeitpunkt der Anschläge vom 11. September 2001 lebte ich in den Vereinigten Staaten, am Tag der U-Bahn- und Bus-Anschläge vom 7. Juli 2005 in London, und während der Serie von Morden, die Mohammad Merah im März 2012 in Toulouse und Montauban beging, hielt ich mich in Südfrankreich auf.
    Aus dem Iran, der Türkei, aus Ägypten, Libyen, Syrien, Afghanistan, Bangladesch und Indien sowie aus den Hauptstädten Europas und Nordamerikas habe ich ausführlich über islamischen Extremismus – und gemäßigte Formen des Islam – berichtet, und mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf bin ich nicht der Ansicht, dass der Krieg gegen den Terror unbegründet war oder von falschen Vorstellungen ausging. In den muslimischen Gemeinden herrscht keineswegs immer eitel Sonnenschein. Auf diesen Seiten möchte ich allerdings zeigen, dass diese Einwanderer nicht bedrohlicher sind als frühere Wellen armer Neuankömmlinge. Ich hoffe, dass wir sie als Mitbürger betrachten können, deren Kinder sich bestimmten Bedrohungen ausgesetzt sehen und daher unserer Aufmerksamkeit und Hilfe bedürfen. Es ist außerordentlich wichtig, dass wir die wahren Probleme der muslimischen Einwanderung von denjenigen trennen, die aus Angst und Unwissenheit gebastelt werden. Die Vorstellung von der klammheimlichen Übernahme durch fromme Muslime beruht auf einer Täuschung, ebenso wie die etwas gemäßigtere Vorstellung von einer dauerhaft fremdartigen und unmöglich zu integrierenden »Kultur« in unserer Mitte. Zu den wahren Problemen, die die Mehrheit der Muslime genauso beunruhigen wie uns andere, zählen die Zunahme des Anti semitismus unter den Einwandererkindern, die sich selbst mit einem sagenumwobenen und weit entfernten Nahen Osten identifizieren, eine Reihe rückständig anmutender Subkulturen, die Frauen wie minderwertige Geschöpfe behandeln, ja sogar als Besitztümer, die es zu bewachen, zu verbergen oder körperlich zu züchtigen gilt, und der defensiv orien tierte Rückzug einer verbitterten kleinen Minderheit in einen innigen religiösen Glauben inmitten einer sich in allen Belangen rasch säkularisierenden Diaspora.
    Diese Verhaltensweisen sind, ebenso wie die Beispiele für den gewalttätigen islamischen Extremismus, am besten als krasse Reaktionen unsicherer Menschen auf die Modernisierungstendenzen des Individualismus und der Globalisierung zu verstehen – genau dieselben Tendenzen, die auch die Theorien von der muslimischen Überfremdung und die entsprechenden Bewegungen in den westlichen Ländern hervorbrachten. Dies sind Kämpfe innerhalb von Kulturen, nicht zwischen Kulturen, und in einem erheblichen Umfang sind sie das Ergebnis der – von Muslimen wie von Nichtmuslimen gehegten – falschen Überzeugung, die Welt sei in fest umrissene und einander unversöhnlich gegenüberstehende »Kulturen« aufgeteilt. Die größere Bedrohung geht nicht von diesen Einwanderern selbst aus, sondern von unserer Reaktion auf sie.

I I Halbmond-Fieber: Kurze Geschichte einer Idee
    A nders Breivik loggte sich kurz nach der Mittagszeit in seinen Computer ein und rief mithilfe eines Memorysticks das Word-Dokument auf, das er spät am vorhergehenden Abend zu Ende formatiert hatte. Nach dreijähriger Schreibarbeit, zuerst im Haus seiner Mutter und dann in dem Bauern haus, das er für dieses Projekt angemietet hatte, umfasste es 1518 eng beschriebene Seiten, und auf dem Titelblatt prangte ein rotes Kreuz des Tempelritter-Ordens. Er scrollte bis zur Seite 1472, schrieb: »Dies wird wohl mein letzter Eintrag ein. Es ist jetzt Freitag, der 22. Juli, 12.51 Uhr«, verschickte den Text an eine Mailingliste, die hauptsächlich aus seinen Facebook-Freunden bestand, und meldete sich ein letztes Mal ab.
    Dann zog er die
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