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Mythor - 068 - Traumland der Ambe

Mythor - 068 - Traumland der Ambe

Titel: Mythor - 068 - Traumland der Ambe
Autoren: Vlcek Ernst
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zu hexen, wie ich dereinst gelernt hatte, an Mutters Brust zu saugen, also von selbst. Das Wissen floß mir förmlich von alleine zu.
    Ich habe von den Spaziergängen mit Prysca gesprochen. Für viele Jahre durfte ich mich nur innerhalb der kleinen Welt bewegen, die durch die Kraterwände des Vulkans begrenzt wurde und die vom Mittelpunkt mit dem Schulgebäude in jede Richtung nur zweihundert Schritt entfernt waren. Eine sehr kleine Welt also.
    »Es ist wichtig, daß du zuallerst dich selbst erforschst und deine nächste Umgebung kennenlernst«, erklärte mir Prysca. »Und lerne dich und deine kleine Welt wirklich kennen. Erst wenn dir jeder Gedanke und jede Faser deines Geists und deines Körpers bekannt sind, wenn du jeden Stein in deiner Welt kennst, dann darfst du in die Ferne schweifen. Und auch dann sollst du nur vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, den Geist und das Auge offenhalten, damit dir nichts entgeht. Du könntest Vanga im Ballon in achtzig Tagen umfliegen, aber du würdest die Welt dabei nicht kennenlernen.«
    Ich drang in mich und strebte hoch hinaus. Aber Prysca sagte:
    »Greife nicht nach den Sternen, sie sind nur das Dach deines Hauses, das durch die Kraterwände begrenzt wird.«
    »Wohnt auch Fronja in diesem Haus?« fragte ich.
    »Wie kommst du darauf?« wollte Prysca wissen.
    Und ich erzählte ihr von meinen Träumen.
    »Weil ich oft mit ihr zusammen bin«, sagte ich mit Kindermund. »Wir spielen miteinander, reichen uns die Hände und tanzen. Fronja nennt mich ihre Schwester, und sie klammert sich an mich, wenn sie Angst hat. Manchmal verspürt sie eine heillose Angst vor dem Kommenden. Sie weint sich dann bei mir aus, und ich versuche sie zu trösten. Aber wie kann ich das? Manchmal schlafen wir nebeneinander, Hand in Hand, und da ist Fronja ganz ruhig und glücklich. Aber wenn ich sie loslasse, da fröstelt sie, und Tränen beginnen ihr Gesicht zu benetzen. Wenn ich mit Fronja zusammen bin, dann bin ich kein Kind mehr, sondern so groß und ähnlich gewachsen wie sie. Aber Fronja ist schöner… Ich möchte so werden wie sie.«
    Wenn ich so mit Prysca sprach, da wurde sie stets nachdenklich. Sie fragte mich immer öfter über meine Träume aus, drang immer tiefer in mich – und wurde gleichzeitig immer verschlossener.
    Nur einmal äußerte sie sich über meine Träume und sagte, daß sie vermutlich sehr bedeutungsschwer seien. Ich meine damit, daß sie dies nur einmal so deutlich sagte, solange ich ein Kleinkind war.
    Dieser Lebensabschnitt war für mich mit acht Lenzen abgeschlossen, denn damals wurde ich in den ersten Hexenrang erhoben und durfte fortan den schwarzen Mantel tragen. Mit zehn hängte mir Prysca bereits den grauen Mantel um die Schultern. Keiner anderen Hexenschülerin meines Alters wurde diese Ehre zuteil. Der graue Umhang schloß mich aber noch mehr aus der Gemeinschaft der anderen aus. Das tat weh, aber Prysca spendete mir Trost, indem sie mir sagte, daß ich etwas Besonderes sei. Mit vierzehn trug ich Blaugrau und stand im vierten Rang.
    Ich hätte Ascilaia verlassen können, um in den Dienst einer im Leben stehenden Hexe zu treten und auf diese Weise Lebenserfahrung zu sammeln, Prysca stellte es mir frei. Aber ich lehnte es ab.
    »Du warst es, die mich lehrte, daß man zuerst sich selbst und seinen näheren Lebensbereich erforschen solle, bevor man in die Ferne schweift«, hielt ich ihr vor. »Laß mich also alles kennenlernen, was es in Ascilaia kennenzulernen gibt.«
    »Als ich dir diesen gewiß weisen Rat gab«, erwiderte Prysca, »da wußte ich nicht, daß du mit deinen Träumen die Grenzen deiner Eigenwelt sprengst. Du bist eine so starke Träumerin, wie ich noch keine andere kennengelernt habe.«
    »Und wie deutest du meine Träume?«
    »Früher war das einfach, doch es fällt mir immer schwerer, deine Traumgebilde zu enträtseln. Ich fürchte, du wächst mir allmählich über den Kopf.«
    Wir lachten beide darüber. Ich fühlte mich seit langer Zeit wieder froh und unbelastet und entschloß mich zu einem ausgedehnten Spaziergang um den Vulkankegel, um dabei die kleinen Naturwunder am Wegesrand in mich aufzunehmen. Die Blumen waren mir damals schon die liebsten Freundinnen. Ich konnte einige von ihnen dazu bringen, ihre Blüten zu öffnen oder zu schließen, ihre Blätter zu bewegen und mir auf diese Weise zu winken. Es gab Gräser, die unter meinen Gefühlssendungen ihre Rispen gegeneinanderrieben und so zauberhafte Melodien erzeugten. Ich schickte meine
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