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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn
Autoren: Martin Walser
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niemandem, sagte der Professor, glaub’ mir, obwohl drei Patienten, zwei Frauen und ein Mann, unabhängig von einander zu mir gekommen sind, um mir den Text zu geben. Alle drei sagten, es sei ihnen unmöglich gewesen, was sie gehört hatten, nicht aufzuschreiben. Ich habe ihnen gesagt, dass ich, was du gesagt hast, auswendig könne, ich bräuchte nichts Aufgeschriebenes.
    Und Percy: Ich glaube, ich bin jetzt in einer Verlegenheit.
    Der Professor: Es wäre wieder Mai. Wie vor zwei Jahren. Viele möchten von auswärts kommen. Der Bibliothekssaal wird dafür sorgen, dass es nicht zu viele werden. Percy, ich nötige dich zu nichts. Mit der Fraktion Dr. Bruderhofer muss ich selber fertig werden. Und werde ich selber fertig werden. Frau Dr. Breit sagt, er nenne mich jetzt in der Ärzteversammlung Alter Knabe.
    Das ist doch toll, rief Percy. Wunderbar ist das. Alter Knabe! Dein zeitloses, schicksalloses, erfahrungabweisendes, Gesichtszüge vermeidendes Gesicht! Ein Hauch von Entschlossenheit, sonst nichts. Alter Knabe, genauer geht’s nicht!
    Ja, ja, ja, sagte der Professor, aber in der letzten Ärztetafel, bevor er abreiste in die Ägäis, polemisierte er wieder gegen meine Patientenbeschäftigung. Die Patienten seien vor lauter Geißenmelken, Drehbänkelei und Chorgeblöke schon bald nicht mehr therapietauglich, aber ich, der Chef, wolle Scherblingen ja ohnehin zum Prämonstratenser-Kloster zurückschrauben, statt Lithium dona nobis pacem. Das zeigt, dass ich auf gutem Wege bin, Percy. Das Gelächter der versammelten Ärzte war eher dürftig. Aber dich wieder zu hören, Percy, würde mir guttun. Mir und allen, die aus Scherblingen ein Vorzimmer des Himmels machen wollen. Schluss jetzt damit. Du lässt es mich wissen, ob du sprechen willst.
    Und dein Vorhaben, sagte Percy.
    Als du das letzte Mal da warst, hast du nicht nach meinem Vorhaben gefragt, sagte der Professor.
    Und Percy: Dann hast du gesagt: Also, von meinem Vorhaben willst du nichts mehr wissen.
    Der Professor: Soll einer dem anderen sagen, wonach er gefragt werden will?
    Mir käme das bürgerlich vor, sagte Percy.
    Also?, sagte der Professor.
    Jeder soll selber sagen, wonach er gefragt werden will, sagte Percy.
    Frag mich, sagte der Professor, was die Bücher und Papiere dort auf dem Tischchen sollen?
    Und Percy: Papiere und Bücher, alles sorgfältig hingelegt. Das Tischchen ist ihretwegen ins Zimmer gekommen. Der mehrfache Doktor forscht.
    Der Professor: Mein Buch, entschuldige, mein Büchlein will die Reliquie verteidigen gegen ihre Erklärer. Dir gegenüber habe ich’s angedeutet, dem Innozenz lang dargelegt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich meine Pflichten hier vernachlässige, wenn ich Auskunft gebe über ein historisches Dilemma.
    Du hast Angst vor Dr. Bruderhofer, sagte Percy.
    Der Professor: Er sammelt Material gegen mich. Es gibt schon ein Dossier. Wenn er das beim Regierungspräsidium einreicht …
    Er hörte auf. Fing wieder an. Er habe jetzt einen Namen für sein Vorhaben gefunden, beziehungsweise der Name habe ihn gefunden, ein Name, der sein Vorhaben ganz enthalte, aber eben auf die Art, die allein diesem Vorhaben gemäß sei. Du kannst, wenn du in Zukunft wissen willst, wie es meinem Vorhaben geht, immer gleich fragen: Was macht Mein Jenseits.
    Und was macht dein Jenseits, fragte Percy.
    Du wirst es erfahren, sagte der Professor und stand auf. Jetzt zu den Akten. Scrutamini scripturas. Die Abhörprotokolle habe ich dir aufs Zimmer legen lassen. Ewald Kainz wird immer wieder in unregelmäßigen Abständen angerufen. Von einer Frau. Von dieser Psychotherapeutin Dr. Silvia Schall, die ihn verlassen hat, oder von einer anderen Frau, von der wir nichts wissen. Auf irgendwelche Anrufe wartet er Tag und Nacht. Wie sie mit einander reden, na ja, du wirst es selber nachlesen.
    Werde ich nicht, sagte Percy. Augustin, verzeih, ich will mir ihm gegenüber keinen solchen Vorteil verschaffen. Ich habe ihm, wenn er es zulässt, etwas zu erzählen. Was dann geschieht, müssen wir nicht wissen. Vor allem: Wir müssen es nicht planen.
    Wenn ich dreißig Jahre jünger wäre, sagte der Professor, möchte ich dein Lieblingsschüler sein.
    Percy: Dann ich der deine, dass ich alles, was du von mir hättest, bei dir lernte.
    Jeder sah im Gesicht des anderen das Lächeln, das er selber hatte, also sah jeder im Gesicht des anderen sich selbst. Beide verneigten sich gleichzeitig und ein bisschen parodistisch vor einander. Der Professor sagte: Tu autem.
    Das
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