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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn
Autoren: Martin Walser
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erfahren und beschrieben hast. Nämlich nicht als eine Methode dem Kranken gegenüber, sondern als das, was du selber brauchst. In diesem Moment. Ich habe durch und durch empfunden, jetzt reden, unmöglich. Jetzt ist nichts anderes geboten als Schweigen. Das habe ich getan. Und Ewald Kainz hat das begriffen. Sage ich. Behaupte ich. Ein bisschen naseweis. Aber das gehört ja auch zu deinem Schweigen, dass einer dem anderen schweigend voraus ist.
    Das Scherblinger Schweigen ist jetzt in der elften Auflage erschienen, sagte der Professor. Ich werde noch ein reicher Mann. Und die Belegexemplare für jede neue Auflage lege ich bei Luzia auf den Tisch, dass sie allen, die bei ihr vorbeikommen, sage, sie dürften sich bedienen. Dr. Bruderhofer hat bis jetzt von jeder neuen Auflage ein Exemplar mitgenommen, obwohl vorne drinsteht, die Auflage sei unverändert. Es ist ja ein Buch, das aus meiner Empfindungsgeschichte stammt, so etwas kann man nicht verbessern. Für Dr. Bruderhofer ist das der Beweis, dass es kein Fach- und Sachbuch ist. Frau Dr. Breit dagegen bedankt sich jedes Mal dafür, dass sie wieder eins mitnehmen kann. Als sie’s zum ersten Mal gelesen hat, hat sie gesagt: Sie machen uns mundtot!
    Und Percy: Jetzt muss ich dich aber fragen, du hast Ewald Kainz von vorne gesehen, ihm ins Gesicht geschaut, zu mir hat er sich nicht ein einziges Mal hergedreht, also, Ewalds Augen. Augustin, was hat er für Augen?
    Ich weiß, warum du fragst. Ich will nicht so tun, als hätte ich vergessen, dass du diesen Namen immer mit dir führst. Von dem, was du mir sagst, verliere ich nichts. Natürlich habe ich dich gerufen, weil dieser Patient Ewald Kainz heißt.
    Percy: Endlich.
    Der Professor: Wenn ich den treff’, dem erzähl’ ich was. Hast du gesagt. Jedes Mal, wenn du ihn erwähnt hast. Und du hast ihn oft erwähnt.
    Percy: Mutter Fini kann Ewald Kainz nie erwähnen, ohne seiner türkisenen Augen zu gedenken. Sein Türkis-Blick, sagt sie immer.
    Den du, massiv blauäugig, wie du bist, nicht hast, sagte der Professor.
    Und Percy: Ein Beweis mehr, dass er nicht mein Vater ist. Und so morgenrote Haare wie ich hat er auch nicht. Also hab’ ich meine Bürste nicht von ihm.
    Der Professor: Such weiter.
    Und Percy: Suchen liegt mir nicht. Finden schon. Bei dir gelernt.
    Der Professor: Code Napoléon, Artikel 340: La recherche de la paternité est interdite.
    Und Percy: Drehen wir Paulus an die Korinther um: Statt Haben, als hätte man nicht, Nicht haben, als hätte man.
    Dann, der Professor: Percy, da, hinter dir, auf meinem Schreibtisch, liegen die Papiere, notariell vorbereitet, du müsstest nur noch unterschreiben, wenn du es erträgst, von mir adoptiert zu werden. Ich seh’ dich erblassen. Also Papa will ich nicht genannt werden. Vater auch nicht. Alles bliebe, wie es ist, nur dass ich wüsste, du wärst mein Sohn.
    Percy umarmte ihn. Dann sagte er: Ich werde es heute noch der Mutter schreiben. Sie wird sich, hoffen wir, freuen. Augustin! Und umarmte ihn noch einmal.
    Längstes Schweigen.
    Percy: Aber wenn die Mutter dagegen ist, lassen wir’s.
    Percy, sagte der Professor, ich habe bei dir gelernt, dass etwas weder der Fall noch nicht der Fall sein muss und trotzdem existiert. Jetzt deine Predigt vorletztes Jahr, Percy, es wird immer noch nach dem Text gefragt. Dem Leben zuliebe. Dass es den Text nicht gibt, wird mir vorgeworfen.
    Wenn es ihn gäbe, würde es dir auch vorgeworfen, sagte Percy.
    Predigt er wieder, wird gefragt.
    Wenn, was er sage, Predigt genannt werde, rede er nicht, sagte Percy. Kannst du jedem sagen, der nach dem Text fragt.
    Das sag ich doch jedem, sagte der Professor. Wer einen Text verlangt, sage ich, der hat halt nichts gehört. Ich sage, dass Percy nur sagt, was der Augenblick ihm eingibt. Was er sagt, gibt es nur in dem Augenblick, in dem er es sagt. Wem es in diesem Augenblick nichts sagt, dem sagt es auch nichts, wenn er es nachher liest. So meine Rede.
    Die ist vernünftiger, als ich es verdiene, sagte Percy.
    Aber, sagte der Professor, jetzt das Geständnis des Heuchlers. So rede ich zu den Leuten, aber ich selber habe alles aufgeschrieben. Aus dem Gedächtnis. Dem Leben zuliebe. Ich habe das aufschreiben müssen. Mein Gedächtnis ist durch den Beruf so trainiert, dass ich eine 30-Minuten-Rede aufschreibe, ohne ein Wort auszulassen oder hinzuzufügen. Wenn du willst, geb ich dir den Text, und du machst damit, was du willst.
    Führ’ mich nicht in Versuchung, sagte Percy.
    Ich zeig’ ihn
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