Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Sagt sie. Ich bin schon froh, dass Innozenz die Mittel nicht mehr nimmt. Dass Innozenz das mir gestehen konnte, halte ich für einen Erfolg. Für einen Heilungserfolg.
    Sag ruhig, für deinen Heilungserfolg, sagte Percy.
    Und er sei so kleinlich, sagte der Professor, so niederträchtig, dass er sich über diesen Erfolg erst freuen könne, wenn er ihn Dr. Bruderhofer habe hinreiben können.
    Percy sagte: Das zeichnet dich aus.
    Sei nicht so gnädig, sagte der Professor. Aber das habe ich dir nur sagen können angesichts dieses Panoramas: die Ziegen, die Glashäuser, die Ställe, die Rösser … Percy, ich glaube, ich werde mein Leben zwischen meinen Rössern beenden. Als ich die ersten zwei in der Mongolei holte, haben mir die Bauern dort erzählt, dass sie abends nach der Arbeit die Rösser freilassen, die rennen in die Steppe hinaus, rennen zwanzig oder dreißig Kilometer, fressen, saufen, schlafen, und am Morgen sind sie wieder da: zur Arbeit.
    Sie gingen zurück ins Abtszimmer, der Professor setzte sich auf die gepolsterte Bank und sagte: Sede dextris meis.
    Tibi gratias, Augustine, sagte Percy.
    Der Professor: Dass der Pfarrer Studer hinter dir hertelefoniert, weißt du. Du seist abgehauen, als er zu einem Hausabendmahl fortmusste. Er sei nicht gekränkt. Er rufe deine Lieblingsadressen nur an, um zu hören, wo er das Gepäck hinschicken solle. Er sei froh zu wissen, dass du in Scherblingen bist. Das, sagte der Professor, habe ich als Kompliment genommen. Du bist eben ein Star.
    Aber an welchem Himmel, sagte Percy.
    An unserem, sagte der Professor.
    Wenn Merklingen nochmal anruft, sag, sie sollen die zwei Taschen auf die Kirchbühne schaffen. Dass du mich wieder im Alten Hospiz untergebracht hast, zeigt dich auf der Höhe, Augustin. In allen Anstalten, in die ich komme, Zwiefalten hat auch noch telefoniert, ich habe gesagt, ich weiß nicht, wie lange ich in Scherblingen brauche, überall bringen sie mich bei den Pflegern unter. Wenn schon kliniknah, dann bei den Patienten.
    Similia similibus, sagte der Professor. Wer nicht zu den Patienten gehört, kann ihnen auch nicht helfen. Du musst damit rechnen, dass Frau Strauch dich überfällt. Sie ist wieder da. Psychotisch dekompensiert, sagt Dr. Bruderhofer. Sobald ich eintrete, tut sie so, als höre sie Stimmen, und ist für mich nicht zu sprechen. Auch wenn ich schweige, tut sie so, als müsse sie angestrengt zuhören, dass sie, was ihr von den Stimmen gesagt wird, verstehe. Antwortet sogar mit dem Gesichtsausdruck auf das, was ihr da angeblich gesagt wird.
    Und Percy: Ist das ein Unterschied, ob sie Stimmen hört oder so tut, als höre sie welche?
    Der Professor sagte: Du hast recht.
    Und Percy: Als ich das letzte Mal in Scherblingen war, habe ich dich gebeten, nie mehr zu sagen, dass ich recht habe.
    Der Professor: Du hast vor zwei Jahren die Stimmen, von denen Frau Strauch gequält wird, zum Schweigen gebracht.
    Percy: Aber jetzt sind sie wieder da.
    Der Professor: Vielleicht versuchst du es noch einmal. Verzeih, wenn ich nur sage: mit dem Schlafsack. Du weißt, dass mir das Wort Therapie Mund- und Seelenschmerzen macht. Sogar Dr. Bruderhofer erwähnt gelegentlich, wenn auch nicht ohne gemütlichen Spott, Schlugens Schlafsack-Therapie.
    Percy: Immer wenn ich den Schlafsack mit einem Leidenden probiere, komme ich mir nachher wie neugeboren vor.
    Der Professor: Wenn es mit Dr. Bruderhofer so weitergeht, musst du den Schlafsack mit mir machen.
    Percy: Das wäre das Höchste. Aber du brauchst ihn natürlich nicht.
    Der Professor: In der letzten Ärzteversammlung vor seiner Abreise zitierte er, dass ein Neuzugang in der ersten Sitzung gesagt habe: Gott sei Dank ist das Arschloch endlich gestorben. So der Patient über seine Mutter. Das sagt Dr. Bruderhofer demonstrativ zu mir hin.
    Schweigen.
    Der Professor: Ich muss immer daran denken, als ich dich bei Studer angerufen habe und gesagt habe, es sei wieder ein Patient da, der sich vollkommen verweigert, da war dein erster Satz: Wie heißt er? Warum hast du so gefragt?
    Und Percy: Ich habe wissen wollen, wie er heißt.
    Der Professor: Aber als ich dir den Namen gesagt habe, hast du gesagt: Hallo.
    Percy: Was sonst hätte ich denn sagen können, wenn du sagst: Ewald Kainz.
    Der Professor: Dann hast du gesagt: Ich komme.
    Percy: Und jetzt bin ich da.
    Der Professor: Und wie reagiert er?
    Percy: Ich habe mich gleich dem Schweigen überlassen. Deinem Schweigen. Noch nie habe ich erlebt, wie genau du das empfunden und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher