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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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anderes sein als bei uns. Die Philosophie, die Musik, die Art zu denken, zu fühlen vielleicht auch, das alles ist dort osteuropäisch, aber europäisch nach wie vor. Und die christlichen Wurzeln sind jene, die uns alle einen.
    Darüber wird viel zu wenig gesprochen; es gibt viel zu wenige mitreißende Vermittler, die eine europäische Vision formulieren können. Ich habe ein paar Reden vom Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gehört, der mich wirklich überrascht hat. Er ist ein Europäer mit Herzblut und lebt für die Union. Im Fernsehen wird das nicht immer so gut transportiert. Aber vor Ort steht dieser Mann da mit flammendem Schwert und kämpft für Europa. Dass Barroso nicht so wahrgenommen wird, wie es sein sollte, liegt nicht zuletzt daran, dass es keine europäische Presse gibt und damit auch keine Personifizierung. Wenn es beispielsweise einen europäischen
Präsidenten gäbe, der direkt gewählt würde, dann würde sich schon etwas bewegen. Er wäre zwar mehr ein Symbol, aber man hätte zumindest medial eine zentrale Figur, die Europa nach innen und außen repräsentiert – und braucht!
    Generell fehlen die Köpfe, die sich nach vorne wagen und klar und deutlich Position für Europa beziehen. Es fehlt mir das klare Bekenntnis zu den »Vereinigten Staaten von Europa«. Kürzlich war ich in München auf dem siebzigsten Geburtstag von Edmund Stoiber eingeladen. Als Ministerpräsident pflegte Stoiber immer einen zarten Vorbehalt gegen Europa und schimpfte gerne auf die europäischen Bürokraten. Heute ist er Entbürokratisierungsbeauftragter in Brüssel. Und ein glaubwürdiger Streiter für die europäische Sache. Bei seiner Festrede schwärmte er richtig für Europa. An Stoiber habe ich gemerkt, dass der Funke also doch noch zünden kann.
    Allerdings müssten auch führende Spitzenpolitiker und Regierungschefs klarer zu Europa stehen. Man braucht Personen, die sich auch emotional bekennen. Leider ist die Kanzlerin eben ein eher nüchterner, öffentlich wenig emotionaler Mensch, und keiner sollte sich verbiegen oder schauspielern.
    Neue europäische Solidarität
    Vor allem wir Deutschen wehren uns aktuell besonders gegen die Einführung von Eurobonds. Eurobonds sind europäische
Staatsanleihen, die vor allem uns Deutsche viel Geld kosten würden. Unser Argument dagegen ist derzeit also, dass wir für etwas haften müssten, was andere Länder verschuldet haben. Aber auch in Deutschland haben wir einen Länderfinanzausgleich. Wenn das Saarland also Geld braucht und Hamburg oder Bayern dafür in die Tasche greifen müssen, dann ist doch klar, dass die Landesregierungen mit den Zähnen knirschen. Doch weil wir ein Land sind und die Solidarität als oberste Priorität ansehen, stellen wir dieses System letztlich nicht infrage, sondern tun selbstverständlich unsere Pflicht. Warum also sollte Gleiches nicht auch innerhalb Europas gelten? Wenn wir uns als Europäer verstehen und Europa als Projekt nicht scheitern soll, dann müssen wir bereit sein, für jene, die in finanzieller Not sind, einzustehen. Wir brauchen eine Art Länderfinanzausgleich, eine Transferunion, und dazu gehören auch die Eurobonds.
    Es ist richtig, dass man verbindliche Sanktionen fordert gegen jene, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Aber das Gemeinsame, die Föderation, die Hilfsbereitschaft, das alles sind Dinge, die trotz aller Probleme niemals in den Hintergrund treten dürfen. Derzeit versucht jede Regierung in Europa, ihre nationalen Interessen durchzubringen. Keiner möchte zu viel tun, nur mühsam lassen sich Kompromisse abringen – ein weiteres Zeichen dafür, dass derzeit keiner so richtig an die europäische Sache glaubt. Es fehlen wirklich laute Stimmen, die sagen: Europa ist eine Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt. Obwohl wir als Deutsche momentan Opfer bringen müssen, ökonomische Opfer, stehen dem
gegenüber doch unendlich viele Vorteile, ökonomische wie kulturelle Vorteile, die sich langfristig im Wettbewerb mit Asien und den USA auszahlen werden. Wir sollten verstehen, dass wir in Dekaden denken müssen, nicht von Jahr zu Jahr und von Krise zu Krise. Man mag mir vorwerfen, ich sei ein Träumer, aber zur Zeit sind uns in Europa die Träume abhanden gekommen. Wir könnten wieder welche gebrauchen!

    Vor allem aber müssen wir aufpassen, dass wir mit einem Europa-Skeptizismus keine Front einer Intoleranz errichten. Ich sehe die Gefahr, dass ein intelligenter Nationalpopulist bei uns derzeit gute Chancen
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