Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
Vom Netzwerk:
Beschlüsse mit den internationalen Partnern abstimmen. Allein kann heute weder regional noch national und schon gar nicht international entschieden werden. Dadurch wird es immer schwieriger, die geschlossenen Kompromisse emotional vertreten zu können. Entscheidungen und Kompromisse werden heute rational getroffen, es sind Vernunft- und Interessenentscheidungen, die der Schnelllebigkeit geschuldet sind und der geringen Halbwertzeit aktueller politischer Situationen.
    Man muss ehrlicherweise sagen, dass man heute als Politiker den Menschen eigentlich gar keine Wahlversprechen mehr machen kann. Abgesehen davon, dass die Wenigsten an solche vollmundigen Versprechungen glauben, muss man einkalkulieren, dass nur noch in den seltensten Fällen absolute Mehrheiten zu erlangen sind. Und selbst dann müssen Kompromisse entweder mit den anderen Parteien, Bundesländern oder mit Europa eingegangen werden. Gerade in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen muss die Politik heute sogar interkontinental agieren. In solchen Zentrifugalkräften aber werden die einzelnen Parteien zerrissen und verlieren ihr eigentliches Profil.

    Hinzu kommt, dass Politik immer personenbezogener wird. Zum einen aus einer gewissen Notwendigkeit heraus, denn eine Partei ist ein schwerer Tanker mit Hunderttausenden von Mitgliedern. Bis man die Basis von seinem Kurs überzeugt
hat, dauert es daher sehr lange. Es braucht also einzelne Köpfe, die mit einem gewissen Mut und einer entsprechenden Autorität vorpreschen, auch gegen die Meinung andersdenkender Teile einer Partei. Vor diesem Hintergrund finde ich beispielsweise Angela Merkels Kurs zum Ausstieg aus der Atomkraft richtig und mutig. Fukushima hat die Akzeptanz der Kernenergie infrage gestellt. Die Energiepolitik wäre zu einem Schwarz-Weiß-Thema aller folgenden Wahlkämpfe geworden, und vermutlich wären diese nicht zu gewinnen gewesen. Aber unabhängig vom Taktischen hat sich doch jeder die Frage gestellt: Wenn so etwas in einem so hochtechnisierten und gut organisierten Land wie Japan geschieht, kann man dann noch davon ausgehen, dass Deutschland dagegen gewappnet ist? Die Entscheidung war also notwendig.
    Ebenso waren es mutige Entscheidungen einzelner Personen, in Sachen Integration die Weichen umzustellen, wie es etwa Ronald Pofalla getan hat. Oder Ursula von der Leyen beim Thema Kindererziehung. Das alles waren Dinge, die aus Sicht der Basis gern noch fünf bis zehn Jahre hätten warten können. Aber gesellschaftspolitisch waren es Entscheidungen, die längst überfällig waren – allesamt mutige Schritte einzelner Menschen.
    Das Profil der Parteien
    Politik lässt sich nicht mehr wie in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren betreiben. Politik ist schnelllebiger
geworden. Und transparenter. Alles findet heute unter extremer Beobachtung der Öffentlichkeit statt. Die großen Parteien haben viele Stammwähler verloren. Das gilt für die CDU genauso wie für die SPD. Man spricht heute von einer mobilisierbaren Stammwählerschaft von gerade mal 20 Prozent bei den beiden großen Volksparteien, viele frühere Stammwähler sind heute Wechselwähler. Oder Nichtwähler. Vor einigen Monaten hat der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Erwin Teufel, diesen Umstand in einem Interview mit der FAS beklagt und mit seiner Kritik an der Parteiführung vielen Mitgliedern aus dem Herzen gesprochen. Die CDU, so Teufel, verliere ihre Stammwähler, weil es der Partei an Alleinvertretungsmerkmalen fehle und an klaren Kernkompetenzen. Die Wähler erkennen kein klares Profil.

    So steckt die CDU in einem Dilemma. Zum einen muss sie sich den globalen Gegebenheiten unterordnen und droht dabei mehr und mehr ihre Linie zu verlassen. Zum anderen muss sie der Basis suggerieren, für ihre ureigenen Werte noch immer einzustehen und ihre eigenen Interessen zu vertreten. Für viele Mitglieder und Wähler war die CDU seit jeher eine konservative Partei. Für viele Anhänger ist dieser Begriff ein klares Identifikationsmerkmal der Partei und nicht wenige fordern heute eine Rückbesinnung auf so genannte konservative Werte. Aber was ist damit eigentlich gemeint, mit konservativen Werten? Was ist denn heute konservativ?
    In der historischen Bedeutung wurde das Konservative aus einer Abwehr heraus geboren gegen gesellschaftliche
Veränderungen aufgrund der sich wandelnden wirtschaftlichen Strukturen. Das lässt sich vermutlich zurückverfolgen bis in die Feudalzeit, als die Mechanisierung und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher